Welche Aufgaben hat Literatur? Welches sind Kriterien ihrer Qualität? Warum schreiben wir und für wen? Eingeladen war ein Großaufgebot junger Schreibender, allesamt auf der Schwelle zum
Literaturbetrieb, zum Teil bereits bekanntere Namen.
Jeweils am Abend wurden die Überlegungen zusammen mit kurzen Leseproben der Beteiligten vorgestellt. Das machte durchaus Sinn, denn oft waren Poesie und Poetik ohnehin kaum zu unterscheiden.
Diese Position machte sich etwa Andrea Winkler zueigen, die gleich ganz darauf verzichtete, zwischen ihren Texten und etwaigen Poetologien zu differenzieren.
"Große Fragen" bleiben unbeantwortet
Aber auch sonst gab es wenig streng Programmatisches: keine Manifeste, nicht einmal Thesenpapiere - ausgenommen Hendrik Jacksons Liebeserklärung an die Form des Pastiches. Bezeichnend für die
Tagung war die Verweigerung der großen Geste. Eine solche gab es nur als inszenierten Klamauk: so das Käse-in-Wodka-Experiment von Ann Cotton, frei nach Heimito von Doderer.
Leider aber rückten auch die großen Fragen, die man sich vorgenommen hatte, allzu schnell in den Hintergrund. Zudem fehlte der Schlagabtausch, die Kontroverse, überhaupt jeder ernsthafte
Versuch, poetologische Gemeinsamkeiten und Differenzen zu bestimmen. Statt dessen überwog das gegenseitige Kennenlernen, und entsprechend schwer fällt es, eine Bilanz des "Dichten Geredes" zu
ziehen.
Sieht man von Beiträgen ab, in denen persönliche Selbstzweifel (Luise Boege) oder der Spaßfaktor (Kirsten Fuchs) im Vordergrund standen, lassen sich aber gleichwohl drei Beobachtungen
formulieren.
Erstens: Es meldete sich eine Generation von Schreibenden zu Wort, an der poststrukturalistische Theoriefragmente nicht vorbehaltlos vorbeigegangen sind.
Sinn und Bedeutung waren den meisten Beiträgern suspekt, man liebäugelte mit Hermetischem (Ron Winkler) oder verabschiedete das "Erzählen" zugunsten eines bloßen "Zeigens" oder "Ausstellens",
so vor allem Daniel Falb mit seiner vom Subjektverlust geprägten Dichtung.
Damit aber kollidierte, zweitens, die wiederholt geäußerte Sehnsucht nach sprachlicher Authentizität und Originalität. Bei Martin Lechner etwa standen Termini wie Wahrhaftigkeit und
Leibhaftigkeit trotz seiner Vorliebe zur Groteske hoch im Kurs, Thomas Pletzinger reflektierte speziell das Verhältnis von eigenem Autorenkörper und Text, Thomas Klupp war geplagt von der Sorge,
bloß zu immitieren, und Philip Maroldt verkündete prompt eine "Poetik der Notaufnahme". Stärker gesellschaftlich versierte Problemstellungen reflektieren Jan Böttcher, der sein Schreiben im Sinne
eines Widerstands gegen die medialen Narrative der Gegenwart perspektivierte, mehr noch aber Christian Schloyer, der sich gar einer romantischen Befreiung sprachlicher Kreativität aus ökonomischen
Verwertungszusammenhängen verpflichtet sah.
Drittens und letztens ließ sich ein erstaunliches Interesse an stilistischen und philologischen Detailfragen feststellen. Florian Kessler etwa zeigte, wie man sich dem Problem sprachlicher
Beschreibung auch weitgehend theoriefrei zuwenden kann. Gleiches galt für Greta Granderaths Überlegungen zum Problem der Stimme oder auch für Nora Bossongs Probleme mit historischen Stoffen. Das
war naiv.
Neues Autorenbewußtsein
Andererseits aber äußerte sich gerade auch in dieser theoretischen Bedenkenlosigkeit ein unerhörtes, weil sich selbst genügendes, neues Autorenbewußtsein. Dies gilt umso mehr für die mit
Abstand intelligenteste Annäherung an eine scheinbar bloß stilistische Fragestellung: für Jan Wagners erzählerischen Benn-Essay und die dort formulierte Vision, das Konzept der Absoluten Dichtung
durch eine Aufwertung des "Wie"-Vergleichs im Verhältnis zur Metapher zu demokratisieren.
Der Tagungsort in Kreuzberg war nicht in jedem Fall günstig gewählt. Aus Rücksicht auf die Mieterin eine Treppe tiefer durfte zu später Stunde nicht mehr geklatscht werden. So endeten beide
Abende nur mit verhaltenem, angesichts der Pionierleistung dieser Poetik-Tagung aber mehr als gerechtfertigtem Applaus.
Christian Hippe
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