Philosophin Susan Neiman mit dem August-Bebel-Preis geehrt
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Es wäre wohl eine Preisverleihung ganz im Sinne des Namensgebers August Bebel gewesen. Diesen beschrieb Wolfgang Thierse, Vorsitzender der August-Bebel-Stiftung, nach dem Zitat Willy Brandts als einen Sozialdemokraten, der eine Mitverantwortung für die eigenen und öffentlichen Angelegenheiten gelebt habe und dessen Sozialismus in demokratischen Grundüberzeugungen verankert war, die nicht widerspruchsfrei, aber auf rührende Weise unerschütterlich waren. Er habe den Leuten nicht nach dem Mund geredet, auch nicht Parteigenossen.
Eine Person, „die ermutigt, das Gute zu sehen“
In diesem Jahr zeichnet die Stiftung Susan Neiman aus. Die US-amerikanische Philosophin und Direktorin des Einstein-Forums in Potsdam wurde für ihr Lebenswerk an Büchern, in denen sie für Gerechtigkeit und Vernunft wirbt, ausgezeichnet. Die Soziologin Jutta Allmendinger würdigte Neiman in ihrer Laudatio als Person, „die immer wieder ermutigt, das Gute zu sehen, ohne das Böse dabei zu verschlucken“.
Neiman hat zu Fragen des humanitären Fortschritts, des Kantianischen Mündigwerdens und sinnvollen Lebens, der moralischen Klarheit, dessen was Gut und Böse ist, der historischen Schuld und der Erinnerungskultur Wegweisendes beigetragen. Oft tat sie dies mit Bezug auf aktuelle politische Ereignisse. Willy Brandts Kniefall in Warschau habe sie als Jugendliche tief beeindruckt – so sehr, dass sie ihm nach seinem Rücktritt einen Brief schrieb. Lebhaft erinnere sie sich an die Schmutzkampagne, die von einer von ihr nicht genannten Partei gegen ihn geführt worden sei und von dieser bis heute nicht aufgearbeitet worden wäre.
Respekt als Kernthema des Abends
Immer wieder warb und wirbt Neiman für Emanzipation, gleiche Freiheit und soziale Demokratie. Und so nutzte Neiman auch ihre Preisrede, um die aktuelle Politik Israels scharf zu kritisieren und die Situation im Nahen Osten gar mit der Apartheid gleichzusetzen. Die immer weiter nach rechts divergierende israelische Regierung könne nicht kritiklos unterstützt werden.
Wie unterschiedlich Auffassungen zu diesem Thema sein können, wurde deutlich, als kurz nach ihrer Rede SPD-Kanzlerkandidat und Bundesfinanzminister Olaf Scholz eintraf und sich für seine Verspätung damit entschuldigte, dass er noch bei einer Solidaritätsbekundung für Israel gewesen sei.
Neiman lobt Scholz
Doch auch ihn lobte Neiman deutlich. Sie begrüße es, dass Scholz „Respekt“ ins Zentrum seines Wahlkampfs gestellt habe. Oft würde bloß von „Toleranz“ gesprochen, doch das sei falsch, keiner wollte toleriert werden. „Man toleriert aber das, was man nicht mag, aber mit dem man sich abfinden muss“. Wenn man zu Toleranz aufrufe, betone man diese Machtlosigkeit, statt sich mit Neugier zu begegnen und in andere hineinzuversetzen. Dem konnte sich Scholz anschließen: „Nichts ist schlimmer, als mit dem, was man ist, und dem, was man macht, verachtet zu werden“.