In seiner Eröffnungsrede zur Debatte verdeutliche Dr. Wolfgang Thierse die Ziele des Kulturforums der Sozialdemokratie. Es ginge bei den Debatten und Auseinandersetzungen um Fragen nach den
Werten der Gesellschaft, der Leistungsbereitschaft der Politik, wenn es um Integration gehe und um den Alltag der kulturellen Anerkennung im Miteinander des täglichen Lebens.
Angesichts der in der Öffentlichkeit immer wieder aufflammenden Diskussionen um die "Rütli-Schule", um "Leitkultur" und den Gefahren einer "Parallelgesellschaft" werde nur allzu deutlich,
welche enorme Sprengkraft diese Thematik beinhalte. Der Alltag des kulturellen Miteinanders finde vor allem auf der kommunalen Ebene der Politik statt, dort wo die Menschen wirklich aufeinander
treffen.
Alltag fern des "Karnevals der Kulturen"
Der schwierige Alltag fände nämlich fern von einem freudigen "Karneval der Kulturen" statt. Gleichsam betonte Dr. Wolfgang Thierse die Wichtigkeit der nun anstehenden Debatte zur Verdichtung
des "Bremer Entwurfes" als neues Grundsatzprogramm der SPD. Es müsse nun darum gehen, die Ziele der SPD zu verwirklichen und zu leben.
Der SPD gehe es in erster Linie darum, zu verdeutlichen, dass Deutschland ein Einwanderungsland sei, dessen Grundwerte für alle gelten müssten. Gleichsam sei es für eine gelungene Integration
unerlässlich, die gute Kenntnis der deutschen Sprache und vor allem eine gute Bildung zu fördern und voraus zu setzen. Dies zu fördern, sei nun ein vordringliches Ziel der deutschen
Sozialdemokratie.
Es sei ferner unerlässlich, darauf zu achten, dass die verschiedenen Kulturen aufeinander zugingen und eine kulturelle Vielfalt entstehen ließen, statt eine fanatische Abkapselung zu
ermöglichen.
Der Professor für politische Philosophie, Prof. Dr. Julian Nida-Rümelin, verwies in seiner Rede ebenfalls darauf, dass die Kommune der "erste Ort der Reaktion" auf kulturelle Probleme der
Verständigung sei und sich dabei deutlich erkennen ließe, welche Kommune wie politische ausgerichtet sei. Es sei schon seltsam, so Prof. Dr. Julian Nida-Rümelin, dass heutzutage so dermaßen viel
über Einwanderung und Integrationsproblematiken diskutiert würde, obwohl die Zahlen über Einwanderung und Auswanderung seit Jahren bei Null stagnierten.
Über Jahrzehnte haben sowohl Rechte wie Linke versagt
Die Konservativen seien dem Irrglauben erlegen, die Einwanderung nur im Hinblick auf eine ökonomische Zielgebung fördern zu müssen, da die Einwanderer ja nur "Gäste" seien, die nach Jahren
der Arbeit und des Steuerzahlens wieder "nach Hause" fahren würden. Auch die Linke habe geglaubt, allein der gegenseitige Respekt reiche aus, um gut miteinander leben zu können und gab sich einer
eher romantisch zu nennenden Idee des schönen Miteinanders hin. Der Missbrauch von Asylparagraphen sei jahrelang nicht erkannt worden und eine Chance zur realen Integrationspolitik sei ebenso
vertan worden.
Angesichts der demographischen Situation bliebe Deutschland nur dann lebensfähig, so Prof. Dr. Julian Nida-Rümelin, wenn die jetzige Situation schnellstmöglich überwunden werden würde.
Ein Integrationsfaktor von Null sei einfach nicht länger tragbar.
Die Vorurteile und das fehlende Wissen über die Einwanderer erschwere oftmals das alltägliche Leben. So kämen - im Gegensatz zur Situation in Frankreich - zwei Drittel der so genannten
"muslimischen Bevölkerung" aus der Türkei und somit aus einem Land mit einer säkularen Staatsform und der anerkannten Gleichstellung von Mann und Frau. Dies sei in muslimischen Ländern keinesfalls
eine Selbstverständlichkeit. Die städtische Missintegration sei in Deutschland viel weniger problematisch als beispielsweise in Frankreich oder Großbritannien. Zudem sei das deutsche Bildungssystem
viel besser ausgefächert, als in den genannten Ländern, nur dass man in Deutschland eben nichts aus den guten Möglichkeiten mache.
Die Problematik der Integration von Fremden sei bereits seit der attischen Demokratie bekannt und dennoch halte sich der Kampf der Konservativen gegen eine Kanonisierung und Öffnung von
Bildung und Kultur für Alle. Dies sehe man auch deutlich am aktuellen Präsidenten der Vereinigten Staaten, George W. Bush, der vor allem von den weißen und protestantischen Konservativen
unterstützt werde.
"Kampf der Kulturen"?
Dabei ginge es beileibe nicht um politische Ziele, sondern konkret um einen Kampf der Kulturen. Die europäischen Demokratien seien nur im Hinblick auf die Konfessionskriege verständlich, so
ist es eben nicht gleichgültig, welcher Konfession man folge. Ebenso wenig kann eine indifferente Haltung das Ziel der Gesellschaft sein. Die Religion sei für die Wenigsten von uns noch wirklich so
wichtig, dass sie in die Politik mit hinein kommen sollte, aber dieseHaltung sei eben nicht "globalisierbar".
Der Liberalismus habe immer darauf gehofft, existentielle Fragen nach Religionen und deren Werte ließen sich in ökonomische Ziele transformieren, aber genau das sei eben im Weltmaßstab nicht
möglich und dem habe man sich entsprechend auch zu stellen. Der westliche Liberalismus vertrete die Idee der Freiheit und der Gleichheit für Alle und diese Ziele werden von der Sozialdemokratie
ernst genommen. Gerade sie versuche es, gleiche Bedingungen für alle Menschen zu schaffen. Die Aufgabe der Politik sei es, gegen den Anti-Föderalismus, den Rassismus, den Kulturalismus und
Chauvinismus vor zu gehen.
Die Menschenrechte sind nicht verhandelbar
Die Lebensbedingungen müssten unabhängig davon entstehen. Die kulturelle Anerkennung untereinander sei in Deutschland eben nicht gleicher Respekt usw., sondern vielmehr die Aufforderung dazu,
sich uns zu assimilieren. Dies verletze die Menschenwürde. Es könne doch nicht sein, dass die Eintrittskarte zu unserer Gesellschaft darin besteht, die eigene kulturelle Identität aufzugeben und
die eigene Prägung einfach ad acta zu legen. Politik habe, so Prof. Dr. Julian Nida-Rümelin, wahrhaftig zu sein, die Menschenrechte seien kein Thema, über das man diskutieren könne. Sie seien keine
Verhandlungssache und wer die Menschenrechte nicht achte, irrt sich!
Die Politik müsse eine Kultur des Humanismus verteidigen, in jeder Kultur gäbe es Ideen von Menschenwürde und den Anspruch auf deren Beachtung. So könne man die Idee des Humanismus als
gemeinsamen Anknüpfungspunkt betrachten. Die Idee der SPD von einem "vorbeugenden Sozialstaat" müsse unbedingt gefördert werden, die Deutschen hätten ein viel besseres Bildungssystem als der
angelsächsische Raum.
Unser Problem bestehe im selektiven System, dass sich am sozialen Background orientiere und genau dies könne man sich nicht länger leisten. Die Rede von Prof. Dr. Julian Nida-Rümelin stieß
auf große Zustimmung beim Publikum, woraufhin der Oberbürgermeister Christian Ude das Wort ergriff.
Er wies daraufhin, dass es diskriminierendes Verhalten auf beiden Seiten gäbe und das man mit der Toleranz oftmals zweigleisig fahre. So erzählte er von ein einer Münchener Schule, die ein
engagiertes und großartiges Projekt zur 3. Welt veranstaltet habe, aber als er die Turnhalle als Unterkunft für Flüchtlinge beschlagnahmte, diesen Menschen nichts als kalten Hass entgegen brachten
und die Eltern ihn auf die Problematik des nun fehlenden Schulsports ansprachen.
Schluss mit dem "Gekuschel der Kulturen"!
Es sei ein Fehler der Linken und der SPD gewesen, reale Probleme der Integration über Jahre hinweg einfach nicht wahrhaben zu wollen. Der Hass und die Abscheu gegeneinander seien nun einmal
vorhanden und es müsse endlich Schluss gemacht werden mit dem "netten Mulitkulti-Gekuschel", denn die Realität sei eine andere! Es müsse endlich damit aufgehört werden, diese Thematik aus einer
sozialen Arroganz heraus zu beurteilen. Denn die wenigsten Einwanderer hätten einen akademischen Background und seien die Vorzeige-Beispiele des sanften Miteinanders.
Warum habe sich die Linke zum Anwalt eines Münchener Serientäters namens Mehmet gemacht? Die Kommunikation werde von Generation zu Generation schwieriger und dem müsse man sich endlich
stellen. Auch Christian Ude wies, wie schon Prof. Dr. Julian Nida-Rümelin, daraufhin dass die Konservativen dem Irrglauben anhingen, man könne die Einwanderer ignorieren und Deutschland sei kein
Einwanderungsland.
Auch die Linke sei lange davon überzeugt gewesen, die Integration der Einwanderer käme mit Hilfe eines freundlichen Miteinanders von allein. Genau solche Menschen wären es, die von den
Problemen in den Stadtvierteln und den einzelnen Kommunen keine Ahnung hätten und stattdessen nur abstrakt und romantisch -verklärt auf dieses Thema schauen würden.
Moscheen als Symbol eines bedenklichen Machtanspruchs?
Man müsse sich schon sehr darüber wundern, dass die Religionsfreiheit in Deutschland anscheinend nicht für alle Religionen gelte. Warum würde man denn bitte schön, die Altstädte mit ihren
Kirchen und Kuppeln loben, aber den Plan, am Stadtrand eine Moschee mit einem kleinen Minarett für einen bedenklichen Machtanspruch halten? Es müssten endlich kritische Diskurse geführt werden, da
es keine multikulturelle Beliebigkeit geben könne. Vielmehr müsste es allgemein verbindliche Leitmotive eines Miteinanders geben, die allen Religionen die Akzeptanz des jeweils Anderen abverlange.
Religiöse Toleranz dürfe es nicht nur für die christliche Religion geben. Der Bau von Moscheen würde zunehmend zu einem künstlichen Angstthema hochgejubelt, wobei die Überlegung, ob es bei
allem Interesse für x-Minderheiten nicht vielleicht doch eine schweigende, womöglich nicht so gebildete Mehrheit gäbe, die dann ergo vielleicht zur Gefahr werden könne.
Die Bundestagsabgeordnete Frau Dr. Lale Akgün berichtete daraufhin von den praktischen Auseinandersetzungen um den geplanten Moscheebau in Köln. Sie habe dabei festgestellt, dass die
Vorbehalte umso größer werden, umso weiter die Menschen von dem geplanten Standort der Moschee entfernt wohnten. Angeführt würden die Proteste von einer rechten Organisation namens "Pro-Köln", die
dank gezielter Hetze sogar einige Plätze bei den Kommunalwahlen erhalten konnten.
Der Schriftsteller Zafer Senocak erinnerte daran, dass die Konkurrenzgefühle und Ängste gegenüber dem Fremden immer dann am Größten wären, wenn die wirtschaftliche Allgemeinlage sich
verschlechtern würde. Über 40% der Türken würden in Deutschland unterhalb der Armutsgrenze leben, dies sei eine weit höhere Prozentzahl als bei den Deutschen. Dies resultiere aber auch aus dem
Lebenswandel der verschiedenen Generationen der Einwanderer, so habe man in der 1. Generation noch sehr viel gespart, deren Kinder jedoch hätten schon deutlich höhere Ansprüche an den
Lebensstandard gehabt und wären sehr frustriert gewesen, als sich diese nicht erfüllten.
Frustration aufgrund unerfüllter Lebensansprüche?
Bei der aktuellen Generation der Einwandererkinder seien die Ansprüche noch höher und ebenso die Unzufriedenheit, wenn sich diese nicht erfüllen ließen. Diese Generation hätte eigentlich die
besten Vorraussetzungen gehabt, um die soziale Leiter zu erklimmen, trotzdem seien die Hälfte der ausländischen Arbeitslosen unter 35 Jahre alt. Die Einwanderer müssten endlich damit aufhören, die
eigene Anerkennung nicht per se von Außen einzufordern, sondern vielmehr auf sich selbst bestehen.
Die Diskussion wurde noch weiter geführt, wobei immer wieder Beispiele der konkreten Kommunalpolitik genannt wurden, um daran anknüpfend nach Lösungsansätzen zu suchen.
Maxi Hönigschmid
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