Die einen Journalisten wollen Politik machen, statt über sie zu berichten. Die anderen haben gar keinen Standpunkt mehr. Guter Journalismus wird immer seltener.
Neulich war es wieder so weit. Ein verglühter Star wurde recycelt. Ein Chefredakteur witterte einen Scoop, warf seine Restreputation in die Waagschale, traf sich tagelang mit dem konservativen Ex-Hoffnungsträger. Er nahm ihm die Beichte ab, machte ein Buch daraus und eine Titelgeschichte für sein bürgerliches Wochenblatt. Ein Ereignis ward geschaffen. Und alle schienen‘s zufrieden.
Kurz zuvor hatte nämliches Organ, nennen wir es ruhig: „Die Zeit“, auch die Vorauswahl des sozialdemokratischen Kanzlerkandidaten getroffen. Auch weil der Zufall es will, dass Ex-Kanzler Helmut Schmidt Herausgeber jener Wochenzeitung ist. Und einen Wunsch hat: dass einer seines Geistes das Land lenken möge. Also machte er ein Buch mit ihm. Und eine Titelgeschichte. Lief alles bestens. Außer dass das Schachbrett nicht ganz richtig stand.
Zwei Beispiele, die demonstrieren, wie sehr Öffentlichkeit auch hierzulande inszeniert, orchestriert wird. Wie sehr Politik und Medien interagieren, miteinander spielen und gespielt werden, Themen „setzen“, Erregungswellen schaffen und auf ihnen surfen. Längst gibt es Fachbegriffe dafür: Agendasetting und Agendasurfing. Der gewiefte Kommunikator, lehrt Bela Anda, einst bei Bild, dann Regierungssprecher, heute Chief Communication Officer beim Finanzdienstleister AWD, sagt: Ich nutze alle Themenwellen, die gerade anrollen, für mein Anliegen – „indem ich mich draufschwinge, sie reite und auch bediene“.
Kaum Recherche, kaum Analyse
Was daran neu ist? Nicht alles. Zumindest die Intensität aber hat drastisch zugenommen. Spätestens, seit die ersten Herrscher Order gaben, ihr Antlitz auf Münzen zu prägen, war die Kunst der PR, der Public Relations geboren. Heute kann man dieses Handwerk in Crashkursen und an Hochschulen lernen. Parteien, Konzerne und Verbände, selbst manche Popstars, beschäftigen nun große Stäbe, um sich am Meinungsmarkt zu behaupten. Sie drechseln schlagkräftige Sätze, lancieren ihre Themen, kreieren Ereignisse – „Events“, an denen kein Medienmensch vorbeizukommen glaubt. Das Problem wäre zu verkraften, wenn es genügend Journalisten gäbe, die den Platz, die Zeit und die Ressourcen hätten, die Show immer wieder zu entzaubern. Durch tiefgründige Recherchen und präzise Analysen. Doch solche „Luxusjournalisten“ sind längst die Ausnahme in den Medien. Der ökonomische Druck wächst. Seit Jahren sparen die meisten Medien, auch Qualitätsblätter reagierten mit Entlassungswellen. Die Honorare der „Freien“ sinken, viele fluktuieren zwischen Journalismus und PR. Tauschen die Rollen, um zu überleben.
Anmaßende Alphajournalisten
Studien zeigen, dass das Gros der Journalisten kaum noch Kontakt mit der Wirklichkeit hat, nur noch am Rechner sitzt. Sie schwimmen mit im gewaltigen Nachrichtenstrom, müssen ihn möglichst flink und effektiv in Zeitungsspalten und Sendeminuten lenken. „Wir verzichten auf den Augenschein im Journalismus“, bilanziert Volker Lilienthal, Professor für Qualitätsjournalismus an der Universität Hamburg. „Wir waren nicht selbst vor Ort und sind oftmals zu gutgläubig.“
Hinzu kommt eine gewandelte Haltung der „Alphajournalisten“, spürbar vor allem in der Berichterstattung über Politik und Wirtschaft. Diese kleine Schar steht auf der Bühne, macht mit beim Meinungszirkus, sucht die Nähe und Anerkennung der „Movers und Shakers“, der Promis und zelebriert sich in Talkshows. „Wir sind nicht nur Zaungäste“, verkündete vor Jahren schon Gabor Steingart, damals Spiegel-Büroleiter in Berlin, heute Chefredakteur des Handelsblatts. „Wir sind beim Agenda-Setting dabei. Wir haben für Schröders Agenda mitgestritten.“ Man ist sich nah. Und pflegt den Geltungsdrang.
Die große Masse der Journalisten hingegen verzichtet inzwischen oft darauf, politisch Position zu beziehen, arbeitet sich an den „gesetzten“ Themen ab. Die Wächterfunktion der Medien nimmt sie immer seltener wahr. Diese Verschiebung des Rollenverständnisses zeigt sich auch in wissenschaftlichen Untersuchungen. Eine Vergleichsstudie des Journalismusprofessors Siegfried Weischenberg und Kollegen ergab: 1993 strebten noch 37 Prozent der Journalisten danach, Politik und Wirtschaft publizistisch zu kontrollieren. 2005 waren es nur noch 24 Prozent. Als Anwalt Benachteiligter sahen sich in der Ära Kohl 43 Prozent, zum Ende der Ära Schröder nur mehr 29 Prozent.
Journalismus als unabhängig urteilende Instanz darf als bedrohte Gattung gelten. Wie schon zu vordemokratischen Zeiten. „Verficht der Journalist in seiner Thätigkeit nicht seine eigene Überzeugung“, befand Richard Jacobi, Chefredakteur des „Hannoverschen Couriers“ 1902 in seinem Standardwerk „Der Journalist“, „so ist sein Beruf allerdings ein traurig Handwerk. … Der Schmock, der von sich sagen kann und muss: ,Ich habe geschrieben links und wieder rechts, ich kann schreiben nach jeder Richtung‘, ist der erbärmlichste Typus journalistischer Entartung.“
ist Journalist und Autor. 2010 erschien sein medienkritisches Buch „Am besten nichts Neues“.