„Palmyra“: Die dunkle Seite der Oase
Als der „Islamische Staat“ vor drei Jahren weite Teile des Weltkulturerbes von Palmyra in die Luft jagte, war das Entsetzen groß. Was damals kaum jemand wusste: Das Ensemble aus Säulen und Bögen in der syrischen Wüste steht auch für das koloniale Erbe im Nahen Osten. Dort, wo bis vor wenigen Jahren Touristen die weltberühmten Reste des Baaltempels bewunderten, befand sich bis weit in die 1930er-Jahre hinein die Stadt Tadmor.
Um europäischen Archäologen das Feld zu überlassen, wurden die Lehmhäuser abgerissen und die Stadt wenige Kilometer entfernt wieder neu aufgebaut. Das Oasenparadies Palmyra wurde zu etwas, was es in seiner Gesamtheit gar nicht war: ein Relikt ausschließlich des römischen Erbes in der Region. Eine Konstruktion im Sinne von Auswärtigen, die hier das Sagen hatten. Für das arabische Erbe war kein Platz. Die arabischen Bewohner waren allenfalls als Souvenirhändler willkommen. Durch einen Tempel-Neubau trug das Assad-Regime Jahrzehnte später dazu bei, dieses Bild zu zementieren. Das war gut fürs Image im Ausland.
Mit der Eroberung durch die IS-Kämpfer brach in Palmyra ein neues, wenngleich zerstörerisches Kapitel an. Und doch setzte sich der manipulative Missbrauch der imposanten Anlage fort: Der Touristenort wurde zur propagandistisch verwertbaren Hinrichtungsstätte.
Hinter den Fassaden
Der Dokumentarfilm „Palmyra“ blickt hinter die Fassaden der „antiken Kunstkolonie“. Der deutsche Regisseur und Autor Hans Puttnies zeigt, wie der Ort seit dem Ende des 18. Jahrhunderts von den Europäern zunehmend vereinnahmt wurde. In eindrucksvollen Bildern, die Puttnies vor zehn Jahren vor Ort aufgenommen hat, wird erlebbar, was Generationen von Forschern und Reisenden dort so fasziniert hat. In historischen Stichen und Illustrationen wird aber auch deutlich, wie früh die Stilisierung des Ensembles eingesetzt hat.
Puttnies will zeigen, dass sich jeder historische Ort daran messen lassen muss, wie mit den Menschen umgegangen wird, die dort zuhause sind oder waren. Und das nicht nur in Syrien. Daher kommen auch einige Kamelführer und Souvenirhändler zu Wort. Ahmed, ein Teenager, der kitschige Halsketten verkauft, erzählt von seinen Erfahrungen mit westlichen Touristen und von seinen Gefühlen für seinen Arbeitsort, skizziert aber auch seine Sehnsüchte. Angesichts des Syrienkrieges sind gerade diese Szenen bedrückend.
Persönliche Begegnungen
Manipulation und Verlust sind die zentralen Motive, denen der 1946 geborene Filmemacher nachgeht. „Palmyra“ ist aber alles andere als ein sentimentales Erinnerungsstück. Wenn auch Puttnies persönliche Perspektiven und Begegnungen einfließen lässt, so vergisst er nie, auch seine eigenen Eindrücke von Palmyra gegen den Strich zu bürsten und mit Material aus anderen Quellen zu konfrontieren. Wie auf dem Seziertisch durchkämmt der frühere Professor für Kommunikationsdesign Bilder und Filmausschnitte nach Fakten und Symbolen. Dafür greift er auch auf Propaganda-Video-Schnipsel des IS zurück.
Immer geht es auch um die „andere Geschichte“ von Palmyra: So erinnert der Film auch daran, dass wenige Kilometer von den Touristenbussen entfernt, nämlich in Tadmor, Tausende von politischen Gefangenen in einem der größten Folterknäste des Landes schmachteten.
Auch die musikalische Untermalung sorgt für interessante Kontraste. Häufig untermalen die elektronischen Klänge die Atmosphäre der weithin tonlosen Bilder von den antiken Trümmern, mitunter bringen sie aber auch ganz unerwartete Nuancen mit sich und sorgen für erzählerische Distanz. So lebt „Palmyra“ zwar von einer menschlichen, aber nicht allzu sehr menschelnden und häufig recht spröde umgesetzten Sicht auf die Dinge.
Vor einigen Jahren, also vor dem IS, ließ Assad übrigens einen römischen Bogen in Palmyra sprengen. Eine Gruppe von Rebellen hatte ihn sich sprichwörtlich auf die Fahnen geschrieben. Laut einem russischen Medienbericht plant der syrische Gouverneur, Palmyra ab dem Sommer nächsten Jahres wieder für Touristen zu öffnen. Man darf vermuten, dass sich das Regime mit einem Zeichen des Sieges schmücken möchte. Die Manipulation geht weiter.
Info: „Palmyra“ (D 2017), ein Essayfilm von Hans Puttnies, 90 Minuten. Jetzt im Kino.