"Lebenslänglich" basiert auf wahren Begebenheiten aus dem Alltag. Nicht nur, jedoch insbesondere aus der Arbeit des Weißen Ringes. Im Mittelpunkt der 25 Geschichten stehen die Opfer und ihre Geschichten. Von Unfallflucht über häusliche Gewalt bis hin zu Mord. Besonders berührend, so Lektorin Christel Gehrmann, sei die Geschichte über ein traumatisiertes Kind und den "Besuch" eines Psychopathen bei einem Rentnerehepaar. Von Derschau nennt eine weitere Geschichte, in der auch der Weiße Ring Hilfe geboten hatte: Diese knüpfe, ganz aktuell, an das Schicksal der ermordeten 8-jährigen Michelle in Leipzig an. "Letztendlich kann jeder zum Opfer werden.", meint Wolfgang Büscher. "Ein Opfer ist immer noch ein Verlierertyp.", konstatiert Helmut K. Rüster, Pressesprecher des Weißen Ringes. "Es darf doch nicht sein, dass das Opfer wegziehen muss, nicht der Täter.", betont Dr. Helgard van Hüllen, Mitglied des Geschäftsführenden Bundesvorstandes. Mehr als 200.000 Gewalt-Straftaten Mehr als 200.000 Fälle von Gewalt-Straftaten gäbe es jedes Jahr in Deutschland, so der Weiße Ring. 6 Millionen Straftaten insgesamt, heißt es in "Lebenslänglich". Die Täter würden verfolgt. Doch die Opfer würden seltener betrachtet. Der Weiße Ring hat inzwischen 420 Anlaufstellen für Kriminalitätsopfer. Bei diesen arbeiten insgesamt 3.000 ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im gesamten Bundesgebiet. Hier erhalten Opfer persönliche, finanzielle und juristische Unterstützung. Fortschritte und Erfolge Anlass für den Ort der Buchvorstellung im Polizeiabschnitt 45 am Augustaplatz 7 in Berlin Lichterfelde: Der damalige Berliner Polizeipräsident Klaus Hübner hatte hier vor etwa 30 Jahren den Weißen Ring mitbegründet. Daher freuten sich die Vertreter des Weißen Ringes auch ganz besonders über die Anwesenheit des derzeitigen Polizeipräsidenten Dieter Glietsch. Der Weiße Ring benötigt Unterstützung aus allen Teilen der Gesellschaft. Er will seine Botschaft in Köpfe und Herzen der Menschen tragen: Gesetzesvorhaben auf Verstandesebene - Nachempfinden des Leidens durch bewusste Berührung der emotionalen Seite. Die Polizei ist zeitlich oft gar nicht in der Lage, sich um Opfer zu kümmern. Doch ist Hilfe möglich und nötig. Um Opferschutz und Prävention voran zu treiben, sei gerade die emotionale Seite wichtig, unterstrich auch Dieter Glietsch. Nicht mehr nur der Täter sei im Blick. Bisherige Erfolge: Das Opferentschädigungsgesetz von 1976. Und: Eng mit Opferschutzorganisationen zusammen wirkende Opferschutzbeauftragte. Allein in Berlin gibt es zur Zeit 6. Diesen wiederum sind insgesamt 180 Kräfte zur Seite gestellt. Doch: "Nichts ist schon so gut, dass man es nicht noch besser machen kann.", meint Glietsch. Weitere Gesetzesvorhaben seien notwendig. Forderungen "Proaktiv" war das Stichwort von Dieter Glietsch. Noch am Tatort sollten Polizeibeamte sich direkt an die Opfer wenden und sie sofort an Beratungsstellen vermitteln. Mehr auf die Opfer zugehen, forderte auch Roger Kramer. Der 42-jährige war Opfer eines Überfalls mit 6 Messerstichen und kann nun nicht mehr als Maurermeister arbeiten. Auch er hat Hilfe vom Weißen Ring erhalten. Kramer unterstreicht: Den oft hilflosen Opfern müsse abgenommen werden, sich selbst um Hilfe zu bemühen. Psychologische Unterstützung sei sehr wichtig. "Da ist man froh, dass jemand in's Haus kommt und einem hilft." Doch nur 11 % der Opfer von Gewalt-Straftaten kennen immer noch zu wenige das Opferentschädigungsgesetz. Zu wenige nutzen die finanzielle Unterstützung durch die Landesversorgungsanstalten. Mehr Aufklärung, Information und Einblick in Opferschicksale sind nötig. Lobenswert, aber ein wenig plakativ Der offen und ehrlich vertretenen bewussten Betonung der emotionalen Seite in "Lebenslänglich" liegen lobens- und ehrenwerte Motive zu Grunde. Doch die Botschaft, Opfer seien keine Verlierertypen, wird durch die starke Betonung der Opferrolle etwas relativiert. Bei der Wahl des sehr plakativ geratenen Covers wäre mehr Fingerspitzengefühl wünschenswert gewesen. Es zeigt auf der Vorderseite einen Menschen mit Schussloch und Schmauchspuren im Brustbereich. Auf der Rückseite das Austrittsloch mit herunter geflossenem Blut. Zwar geht es in mehreren Geschichten um Angriffe mit einem Messer. In mindestens einem Fall brüstet sich der ehemalige Lebenspartner einer Frau vor seinen Freunden auch mit einem Gewehr. Doch keine der Geschichten handelt von Delikten mit einer Schusswaffe. Gleichwohl mag dem die Frage entgegen zu halten sein: "Muss es erst so weit kommen?" Klage wie Botschaft von "Lebenslänglich": Nicht nur Pflichtverteidiger, Hilfe und Resozialisierung für Täter! Mehr Zuwendung, Sensibilität und Rechtsbeistand für Opfer! Im Vorwort der Verfasser wird der Hintergrund dieser Forderungen, ein unhaltbarer Zustand, deutlich: Zwar habe der Weiße Ring inzwischen vieles erreichen können. So vor allem, dass Opfern von Sexualstraftaten, versuchten und vollendeten Tötungsdelikten ein so genannter Opferanwalt zur Seite gestellt werde. "Doch es bleibt unverständlich, warum ein Opfer schwerster Misshandlungen oder einer Entführung darauf bisher keinen Anspruch hat." Es dürfe nicht sein, so im Buch auch, dass Angst den Alltag der Opfer bestimme - und das oft lebenslänglich. Es werden zum Teil minutiös aufwühlende und beängstigende Situationen geschildert. Nicht selten geht es um Frauen, die hilflos gewalttätigen Männern ausgeliefert sind. Die Arbeit des Weißen Rings ist lobenswert. Es ist zu hoffen, dass diese durch "Lebenslänglich" noch mehr Würdigung, öffentliches Bewusstsein und Unterstützung erfährt.
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