Der Schrecken der Sozialsysteme als hilflose Greisin: In schwebender Intimität nähert sich „Die Eiserne Lady“ dem Schicksal Margaret Thatchers – und vernachlässigt ihr politisches Erbe.
Es ist irgendwie beunruhigend: Schon nach wenigen Augenblicken hinterlässt dieser Film nichts als Ergriffenheit. Liegt es am überragenden Handwerk der Hauptdarstellerin Meryl Streep, ihrer Maskenbildnerin und der Kostümbeauftragten? In deren Zusammenspiel begegnen wir einer Margaret Thatcher, wie sie kaum jemand kennt: nicht nur in ihrer fortschreitenden Hinfälligkeit als Demenzkranke, sondern auch in einer geradezu zärtlichen Emotionalität und mit ebensolchem Witz.
Es sind aber auch die vertrauten Facetten einer der umstrittensten Regierungschefs im westlichen Nachkriegseuropa, die tief berühren. Streeps Interpretation ist von einer Virtuosität, die jede Beschreibung zur Floskel degradiert: Der Verweis auf den dritten Oscar als beste Hauptdarstellerin muss an dieser Stelle genügen. Es sitzt jede Bewegung, jeder Blick und jeder Tonfall – bis hin zum näselnden, oberlehrerinnenhaften Akzent der East Midlands.
Dazu gehört auch Thatchers unbeirrbarer Glaube an ihre Stärken und Ziele: Nicht weniger intensiv ist das unwohle Gefühl, das die geweckten Erinnerungen an ihre Politik hinterlassen: 1959 zieht sie als Außenseiterin aus der unteren Mittelschicht für die Konservativen ins Unterhaus ein. 20 Jahre später tritt die erste weibliche Premierministerin an, aus Großbritannien das Musterland der Deregulierung zu machen. Den wohl rüdesten ihrer Slogans hat man bis heute im Ohr: „Gesellschaft ist ein Unding, es gibt nur einzelne Männer, Frauen und Familien.“
Privatisierung über alles
Die rücksichtslose Privatisierung öffentlichen Eigentums, entmachtete Gewerkschaften, Massenarbeitslosigkeit und eine boomende, aber kaum zu bändigende Finanzwirtschaft stehen für die dramatischen Folgen dieses Kurses. Mit Folgen bis weit über das Vereinigte Königreich hinaus: Auch die Wirtschafts- und Sozialpolitik verschiedener deutscher Bundesregierungen frönte lange Zeit – wenn auch unter freundlicheren Etiketten – dem „Thatcherismus“. Andererseits halten Kritiker der Aufsteigerin aus Lincolnshire zugute, sie habe Frauen den Weg in politische Spitzenämter geebnet.
Dass Regisseurin Phyllida Lloyd („Mamma Mia!“) keinen „politischen“ Film im Sinn hatte, klingt vor diesem Hintergrund bemerkenswert. „Für mich geht es in dieser Geschichte darum loszulassen, das Leben zu akzeptieren“, sagte sie vorab. Will heißen: Dreh- und Angelpunkt dieses Films ist eine zwischen Fiktion und Realität oszillierende Gegenwart. Sie ist die eine Sphäre, in der sich die nunmehr 86-jährige Thatcher bewegt. Die andere besteht aus Einbildungen und Erinnerungen.
Denis Thatcher hat seit Jahren das Zeitliche gesegnet. Nicht jedoch für Gattin Margaret. Wie schon während der 52-Ehejahre neckt man sich liebevoll am Frühstückstisch. Auch für den Zuschauer ist die Illusion perfekt: Bis Haushaltshilfe June die Szene betritt und klar ist, dass die Baroness Thatcher of Kesteven allein über Ei und Buttertoast sitzt. Und das an einem besonderen Tag: Sie will sich von Denis' Hinterlassenschaften trennen, um sich endgültig von ihm zu verabschieden, anstatt weiterhin im Gestern zu leben.
Chips und Bomben
Es ist ein langwieriger und schmerzhafter, aber keineswegs humorfreier Prozess: Mit jeder Krawatte, jedem Zweireiher bricht sich gemeinsam Erlebtes Bahn: Ob Denis' Heiratsantrag bei Fish and Chips, Margarets Sprecherziehung kurz vor der Wahl zur Tory-Chefin oder das Bombenattentat auf ihr Hotel während des Parteitags in Brighton. Auch beim abendlichen Dinner verliert sich Lady Thatcher zwischen den Zeitachsen. Immer mehr verliert sie die Kontrolle über ihr Leben – oder, so lässt der verschmitzte Abschiedsgruß des Gatten vermuten, gibt es da noch ein anderes Dasein?
Schwerlich lässt sich die innere Welt der „Eisernen Lady“ ohne deren äußere beschreiben. Auch in ihrer Erinnerung verschwimmt Privates und Politisches. Schließlich, das gehört zu den überraschenden Erkenntnissen, hatte doch gerade Mr. Thatcher seine Frau zum Gang in die große Politik ermutigt und zur Seite gestanden – die reale Öffentlichkeit sah in ihm nur einen trotteligen Golfspieler.
Doch gerade im Politischen bleibt dieser Film blass. Ausgerechnet die Zeit zwischen Thatchers Griff zur Macht und ihrem Abschied von derselben wird in gleichsam großen wie biederen Bildern abgespult – also jene Epoche, die sich besonders für einen unverbrauchten Blick auf eine von Kontroversen umrankte Figur geeignet hätte. Doch die schablonenhaften, fast schon gefälligen Ereignis-Häppchen rufen allenfalls vergessene „Tagesschau“-Ausschnitte in Erinnerung.
Seine Stärken liegen im Spiel mit jenen evidenten und erdachten Zwischenwelten, also den verborgenen Seiten Thatchers – wenngleich ihre Demenz längst Teil der öffentlichen Person geworden ist. 2008 legte Tochter Carol ein Buch zum Thema vor. Monate vor dem Kinostart diskutierten die Briten darüber, ob sich Lloyds Blick auf die einstige starke Frau im Staate überhaupt ziemt. Doch keine Sorge: „Die Eiserne Lady“ tut niemandem weh.Info:
Weitere Infos: „Die Eiserne Lady“ (The Iron Lady) (Großbritannien 2011), Regie: Phyllida Lloyd, Drehbuch: Abi Morgan, mit Meryl Streep, Jim Broadbent, Alexandra Roach, Olivia Coleman u.a., 104 Minuten. www.eisernelady-derfilm.de
Kinostart: 1. März