„Before, Now & Then“: Aufbruch einer Frau als Bilderrausch
Wie Nana das Haar trägt, hat etwas mit ihrer Geschichte zu tun. Der strenge Dutt soll ihr helfen, Geheimnisse zu bewahren. So erklärt sie es ihrer Tochter. Möge die Haarkugel traumatische Erfahrungen und lückenhafte Erinnerungen verschlossen halten. Doch Nana weiß, dass dies nur Wunschdenken ist.
20 Jahre nach der Flucht
Als Ehefrau eines wohlhabenden Plantagenbesitzers hat sie ein komfortables Leben. Doch eigentlich ist es nicht ihres. Über der Idylle mit Haus, Mann und Kindern liegen dunkle Schatten. In ihren Träumen holen sie Nana immer wieder ein. Dann wird die Vergangenheit zur Gegenwart. Jene Zeit während der japanischen Besatzung im Zweiten Weltkrieg, als ihr erster Mann verschleppt wurde und sie mit dem Anführer einer Miliz verheiratet werden sollte. Mit ihrem Baby und der Schwester wählte sie den einzigen Ausweg: die Flucht.
Gut 20 Jahre später setzt die eigentliche Handlung des Filmes ein. Nana bewohnt ein gediegenes Heim. Doch außerhalb der geordneten Plantagenwelt gerät einiges ins Wanken. Erneut macht Indonesien dramatische Zeiten durch. Gegen den autoritär regierenden Präsidenten Sukarno wird geputscht. Massaker und Pogrome verbreiten Angst und Schrecken. In Nana kommt alles wieder hoch. Ihr wohlbehütetes Leben als Ehefrau und Mutter mit Hausangestellten, das sie sich nach ihrer Flucht aufgebaut hat, bekommt durch die ständigen Albträume Risse. Die Spuren ihrer traumatischen Erfahrungen werden immer mächtiger.
Unverhoffte Freundschaft
„Before, Now & Then“ zeigt, wie Nana versucht, sich von der übermächtigen Last des Vergangenen zu befreien. Hilfe erfährt sie durch die unverhoffte Freundschaft mit Ino. Die Fleischhändlerin vom örtlichen Markt öffnet Nana zudem die Augen über ihre Ehe mit ihrem wesentlich älteren Partner, den alle nur „Mr. Darga“ nennen. Dieser betet Nanas Schönheit an, verletzt sie allerdings beständig. Auch, indem er Geliebte hat. Nana wird klar, dass sie sich nicht nur von ihrem vergangenen, sondern auch von ihrem gegenwärtigen Leben lösen muss, um frei zu sein und ihr Glück zu finden.
Die indonesische Regisseurin Kamila Andini nimmt uns mit auf eine emanzipatorische Reise, deren Ziel erst nach und nach erkennbar wird. Dieser Trip aus Bildern voller Sinnlichkeit und Magie mäandert zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und zeigt die Bezüge zwischen den Zeitebenen auf. Nanas Weg zu sich selbst wird mehr anhand von Stimmungen, Gefühlen und Mimik deutlich als über wortreiche Dialoge.
Auszeichnung auf der Berlinale
Vieles bleibt in der Schwebe, ist nur zu erahnen. Dass die Spannung niemals abebbt, liegt auch an dem facettenreichen, wenn nicht gar undurchsichtigen Spiel von Hauptdarstellerin Happy Salma (Nana) und Laura Basuki – für ihre Rolle als Ino holte sie 2022 bei der Berlinale einen Silbernen Bären als beste Nebendarstellerin.
Diese sinnliche Erzählung über Verlust und Neubeginn gibt zugleich dem Konkreten und Realen gebührenden Raum. Fein nuanciert wird eine Zäsur spürbar, die die jahrzehntelange Diktatur von Sukarnos Nachfolger Suharto nach sich ziehen wird. Der Terror und Gewalt jener Tage schwingt nur am Rand mit und ist doch stets präsent. Es dominiert Nanas Perspektive in einem luxuriösen Mikrokosmos, der für sie zunehmend obsolet wird. Dieser Blickwinkel repräsentiert zugleich die Sichtweise vieler Frauen in den Krisenregionen des 20. Jahrhunderts: Gesellschaftlich und politisch als Randfiguren abgestempelt, sind sie bei gewaltsamen Konflikten ungewollt mittendrin.
Sinn für Schönheit
Der besondere Reiz dieses visuell und dramaturgisch sehr kunstvollen Werkes ist auch einem besonderen Sinn für Schönheit zu verdanken: Diesen heben etwa Nanas Kleider oder die vielen Blumen im Haus hervor. Aber auch das atmosphärisch Schöne hat Platz, sei es in Form eines traditionellen Festes auf den Sunda-Inseln oder von indonesischer Musik aus den 60er-Jahren.
Grundlage für „Before, Now und Then“ ist ein Kapitel des Romans „Jais Darga Namaku“ des zeitgenössischen indonesischen Schriftstellers Ahda Imran. Dieser basiert auf der Lebensgeschichte von Raden Nana Sunani, der Mutter von Jais Darga, einer internationalen Kunsthändlerin. Kamila Andinis Adapation spricht sämtliche Sinne an, nicht zuletzt wegen des nuancierten Spiels mit Schönheit und Schrecken oder mit Traum und Wirklichkeit. Ein mutiger und gelungener Zugriff für eine letztendlich in der Realität verankerte Geschichte von zeitloser Dimension.
Info: „Before, Now & Then“ – Eine indonesische Frau in den Wirren der Geschichte (Indonesien 2022), ein Film von Kamila Andini, Kamera: Batara Goempar, mit Happy Salma, Rieke Diah Pitaloka, Laura Basuki u.a, 103 Minuten, OmU. Ab 29. Juni im Kino