Kultur

Neue Ufer im Revier

von ohne Autor · 22. August 2014
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Marina statt Trinkhalle: Der Dokumentarfilm „Göttliche Lage“ erzählt davon, wie ein abgehängtes Quartier im Ruhrgebiet neu erfunden wird. Durch den Langzeit-Blick auf ein künstliches Idyll am See wird der Strukturwandel zur sinnlichen Erfahrung.

Wem gehört der Pott? Für Künstler und Stadtplaner hat sich die Region seit dem Zechensterben zu einem riesigen Spielplatz entwickelt. Gilt es doch, die Lücken zu stopfen, die ehemalige Berg-und Hüttenwerke hinterlassen haben. Die vielen guten Beispiele für kreative Nachnutzungen von Industriekathedralen oder der Wandel einstiger Kloaken zu grünen Freizeit- und Dienstleistungsoasen können allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass in vielen Städten und Gemeinden mit der Schwerindustrie auch die Arbeitsplätze, der soziale Zusammenhalt und jegliches öffentliche Leben verschwand.

Um diesen Konflikt zwischen dem Potenzial und den Grenzen einer Vision dreht sich der Dokumentarfilm „Göttliche Lage“ von Ulrike Franke und Michael Loeken. Fünf Jahre lang verfolgten sie ein Projekt, wie es kaum symbolhafter sein könnte: die Umwandlung der Hinterlassenschaften eines der größten Stahlstandorte der Welt zu einem Paradies für Besserverdienende mit hochwertigen Eigenheimen und Bürogebäuden. Konkret: den Bau des Phoenix-Sees auf dem Gelände des früheren Stahlwerks Phoenix-Ost in Dortmund. Der behutsame, aber unverstellte Blick zeugt davon, dass die Filmemacher gut im Stoff stehen. „Göttliche Lage“ ist der dritte Teil einer Trilogie über das Ruhrgebiet. 2009 erhielt das Duo für „Losers and Winners“ den Grimme-Preis.

Nur noch Freizeit 

Allein optisch ist die Langzeitdokumentation ein Erlebnis. Bis 2001 rauchten die Schlote über dem Stadtteil Hörde. Im Jahr 2008 ist davon nur eine riesige Mondlandschaft geblieben. Am Horizont reihen sich die Rückfronten schäbiger Altbauten, einsam lugt ein Kirchturm hervor. Wenige Jahre später ist der Boden hübsch planiert, wird der See (Baden verboten!) geflutet, führt die Planungsfirma interessierte Häuslebauer über das Gelände. Am Ende weiht der strahlende Oberbürgermeister Ullrich Sierau (SPD) mit Gaststar Larry Hagman das Ganze ein. Wenn die Stadtverwaltung mit dem 300-Millionen-Projekt das Quartier – von manchen Alteingesessenen als Bronx bezeichnet – tatsächlich neu erfinden will, ist damit indes allenfalls ein erster Schritt getan. „Bald ist überall in Dortmund nur noch Freizeit“, sagt einer der Rentner, die gleichsam skeptisch und neugierig die jahrelangen Wühlarbeiten begleiten.

Ein postindustrielles Stadtviertel am Wasser mit Leben zu erfüllen ist tatsächlich das Schwierigste an dem ganzen Projekt. Das wiederum lassen sich die umtriebigen Planungsexperten während ihrer Besprechungen und Präsentationen nicht anmerken. Die nicht eben glamouröse Klientel in den Häusern oberhalb des Seeufers mitnehmen? Die Art, wie die vom Rathaus beauftragten Vermarkter die Verlierer der Deindustrialisierung betrachten, erinnert mitunter an den Blick des Kolonialherrn auf skurrile Eingeborene. Es sind absurde Szenen, die unwillkürlich das Bild vom hässlichen Gentrifizierer in Erinnerung rufen.

Wildes Puzzle

Aber auch das Hörde der Abgehängten kommt in intensiven Einstellungen zur Geltung. Ein wildes Puzzle aus zusammengeschusterten Wohnhäusern mit zerschlagenen Fenstern, leer stehenden Läden und dem kleinen Gartenidyll, mit bestem Blick auf die neue Uferbebauung. Wir lernen den Streifenpolizisten kennen, der sich mit Anwohnern am Fensterbrett unterhält und seine ganz eigenen, sogar überraschenden Erwartungen an das neue maritime Flair hat. Oder auch die Imbiss-Betreiberin, die kaum über die Runden kommt. Am Ende muss ihr „Kaffeestübchen“ der neuen Zeit weichen. Wie überhaupt das ganze Quartier auf den Kopf gestellt wird. Wieder einmal fällt das Wort „Aufwertung“.

Der Film erzählt auch von dem Konflikt, bei aller Offenheit für das Neue auch das Alte, Identitätsstiftende zu bewahren. In diesem Fall geht es um einen Tiegel, in dem einst flüssiges Roheisen geblasen wurde. Die Siedlungsplaner würden die „Thomas-Birne“ am liebsten im See versenken, doch der örtliche Heimatverein kämpft darum, wenigstens ein sichtbares Relikt jener Zeit an prominenter Stelle zu erhalten.

„Göttliche Lage“ setzt mehr auf die Veranschaulichung als aufs Analytische. Diese offene Perspektive mit ihrer fast schon trägen, kommentarlosen Erzählweise weitet den Blick für das Hässliche und Schöne. Gleichsam sprechen viele Szenen für sich. Die Erkenntnis vor allem dem Eindruck durch Bilder zu überlassen, stößt aber auch an ihre Grenzen. So hätte man sich zumindest sporadische Daten zum sozialen und wirtschaftlichen Wandel in Hörde gewünscht, um das, was das „Stammpublikum“ von sich preisgibt, besser einordnen zu können. Andererseits drängt sich gerade durch diese fehlende empirische Verortung der Eindruck auf: Der Phoenix-See könnte überall sein.

Info: Göttliche Lage (Deutschland 2014), ein Film von Ulrike Franke und Michael Loeken, 99 Minuten. Ab sofort im Kino

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