Kultur

Neue Chancen des Kennen Lernens ?

von Dagmar Günther · 27. Februar 2007

Muslimische Jugendliche aus verschiedenen arabischen Ländern und Deutschland kommen in diesem Buch zur Sprache - ebenso wie ihre Idole. Da ist z.B. von der Jugendbewegung des "Pop - Islam" die Rede, die sich dank neuer Medien immer schneller entwickelt.

Die Anhänger dieser Bewegung, die keinerlei feste Strukturen hat, orientieren sich an Musikern, Talkmastern, Mode und Predigern wie dem einflussreichen Scheich Yusuf al Qaradawi. Von den Jugendlichen wird eine neue Form des Islam propagiert, die eher als "Lifestyle" daherkommt und zahlreiche Einflüsse des modernen Lebens miteinander vereint.

Mittendrin und doch daneben?

So lautete z.B. das Motto einer Veranstaltung für muslimische Jugendliche in Deutschland. Julia Gerlach findet heraus, dass die Jugendlichen der aktuellen Generation nach Orientierungsmöglichkeiten, nach einem Wertekodex suchen, der die westliche Lebensform, an die sie hier gewöhnt sind, mit den Werten der Religion verbinden kann. Sie übernehmen die tradierten Religionsformen der Eltern nicht mehr ohne zu Hinterfragen. Vielmehr entwickeln sie ihr eigenes Islambild, indem sie sich intensiv mit den Schriften und untereinander auseinandersetzen.

Die Vorstellung von Ehrenmorden und Terror à la Bin Laden hat mit ihrer Lebenswirklichkeit herzlich wenig zu tun. Sie kennen sie, wie die meisten anderen Deutschen, auch nur aus den Zeitungen. Die Anhänger des "Pop - Islam", so Gerlach, sind erfolgsorientiert und hoch gebildet. Sie kämpfen um Anerkennung in der Gesellschaft, in der sie leben, ohne dabei ihre religiösen Werte verleugnen zu müssen und sich damit "über anzupassen".

Gerlach beleuchtet alle Jugendorganisationen, die in Deutschland tätig sind - wie etwa die Vereinigung "Milli Görüs" und deren Bemühungen in der Jugendarbeit. Dass "Milli Görüs" vom Verfassungsschutz beobachtet wird, verschweigt sie dabei ebenso wenig wie tatsächlich bedenklich erscheinende Vorkommnisse in diesem Zusammenhang. Gerlach benennt sowohl die Gefahren der in zahlreichen Ländern verbotenen Gruppe der "Muslimbrüder", als auch die zunehmend populären "Lifemakers Gruppen", die hauptsächlich Obdachlosen helfen oder sich um Junge und Alte des jeweiligen Viertels kümmern.

Im Spannungsfeld der Wertetraditionen

Immer wieder kommen Jugendliche zu Wort, die von ihrem Leben im Spannungsfeld der verschiedenen Wertetraditionen berichten. Gerlach stellt Argumentationsstrukturen gegeneinander. Die ermöglichen es dem Leser, sich ein eigenes Bild zu machen und gängige Denkweisen zu hinterfragen.

Mit den Jugendlichen der "Pop - Islam" Bewegung wachse die Chance, miteinander ins Gespräch zu kommen und Ängste und Vorurteile auf beiden Seiten abzubauen.

Das Potenzial dieser denkbaren Auseinandersetzungen, so Gerlach, wäre ungeheuer viel versprechend: so erreicht ein muslimischer Jugendlicher, der erfolgreich und gläubig ist, wohl eher einen anderen muslimischen Jugendlichen, der für sich keine Perspektive sieht und vielleicht anfällig für religiösen Fanatismus ist, als ein deutscher Beamter.

Gerlach plädiert für eine differenzierte Betrachtung der islamischen Bewegungen. Niemandem sei mit den oft so großzügig verteilten Labels à la "Rekrutierungsmoschee für Al Qaida", "Verfassungsfeindlich" usw. geholfen. Diese sorgen vielmehr für einen tatsächlichen Rückzug der muslimischen Menschen in eine "Parallelgesellschaft". Auch die häufig einseitige, Angst schürende Berichterstattung in den europäischen wie arabischen Medien vergrößern demnach nur noch die Konfliktgräben.

Aufeinander zu gehen und sich ernsthaft kennen zu lernen wäre ein praktikabler Weg, um aus dem misstrauischen und feindseligen Klima des "Kulturkampfes" hinaus zu finden. Dabei müsse man aber sowohl weg vom "Kuscheldialog", der die bisherige Politik der Annäherung geprägt habe, als auch weg vom Schwarz - Weiss - Denken.

Das Buch von Julia Gerlach ist hervorragend geschrieben und durch die weit gefächerten Argumente, Diskussionen und Untersuchungen sehr hilfreich, um einen Einblick in die Denkweisen und Probleme muslimischer Jugendlicher zu erlangen. Darüber hinaus verfügt es über einen kleinen Glossar zu Begriffen und Denktraditionen des Islam.

Maxi Hönigschmid

Julia Gerlach: Zwischen Pop und Dschihad. Muslimische Jugendliche in Deutschland, Ch. Links Verlag, 2006, 256 Seiten, 16, 90 €, ISBN-10: 386 15 34045

Autor*in
Dagmar Günther

war bis Juni 2022 Chefin vom Dienst des vorwärts.

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