Kultur

Mythos Flick?

von Doreen Tiepke · 24. November 2009
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"Dass bis heute wenig über die frühen Jahre Friedrich Flicks bekannt ist und sich umso mehr Mythen um seinen Aufstieg ranken, zählt zu den größten und dauerhaftesten Erfolgen eines Unternehmers, der zeitlebens alles daran setzte, sein öffentliches Bild selbst zu kontrollieren."
Friedrich Flick bezahlte einige Pressevertreter dafür, dass sie keine Artikel über ihn schrieben, die eventuelle Ungereimtheiten seines Unternehmens an das Tageslicht bringen könnten.

Lehrjahre
Da so in den frühen Jahren seiner Karriere kaum über ihn geschrieben wurde, ist es nicht verwunderlich, dass Flick selbst das ihm passende Bild dieser Zeit entwerfen konnte. Schon in den ersten Kapiteln räumen die Autoren mit der Ungereimtheit seiner Herkunft auf. Stellte es Flick immer so dar, dass er sich aus einfachsten Verhältnissen empor gearbeitet habe, so wird hier festgestellt, dass sein Vater keineswegs ein Kleinbauer war, sondern ein erfolgreicher Holzhändler, der es sich leisten konnte seinen Sohn zum Studieren auf die Handelshochschule Köln zu schicken. Diese schloss er mit "durchweg vorzüglichen Noten" ab und bewarb sich als Diplomkaufmann als "Bürovorsteher der Bremerhütte, die ihm schon wenig später Prokura erteilte".

Der Startschuss war gefallen. Innerhalb weniger Jahre gelang es Flick "mit enormen Fleiß und großer Disziplin, in einer Mischung aus taktischem Geschick und Skrupellosigkeit" zum Direktor aufzusteigen und innerhalb seines Tätigkeitsbereichs sein Kapital im geschäftlichen wie im privaten Sinne anzuhäufen. Nur Spekulationen sind möglich, wenn es darum geht, zu erfahren "wie es dem kaufmännischen Direktor gelang, binnen kürzester Zeit zum Hauptaktionär seines Unternehmens aufzusteigen"

Skrupellose Geschäfte
Der erste Weltkrieg ermöglichte Flick sein Stahlunternehmen von Grund auf zu sanieren, schließlich war in der Zeit nichts wichtiger als Stahl für Munition. Flick passte sich den Gegebenheiten ohne Scheu an, genauso wie er es später bei den Nationalsozialisten machte. Er hatte ausschließlich sein Geschäft und dessen Expansion im Sinne. So nahm er wissentlich in Kauf, dass während des 2. Weltkrieges Zwangsarbeiter in seinen Stahlwerken beschäftigt wurden. Er half bei der Enteignung jüdischer Unternehmer und verleibte sich deren Geschäfte ein. Ohne Skrupel versuchte er in den von Deutschen überfallenen und annektierten Gebieten, wie in der Ukraine oder Frankreich, sein Unternehmen auszudehnen.

Im Kriegsverbrecherprozess wurde er zu sieben Jahren Haft verurteilt. Von Reue keine Spur. Im Gegenteil. Sein Verteidiger erklärte unter anderem während der Prozesses: "Aus Sorge ums Vaterland habe Flick gelegentlich auf Göring und Himmler einzuwirken versucht, um den Krieg abzuwenden.". Andere mit ihm Angeklagte behaupteten sogar, um ihren Kopf zu retten, dass sie von den Attentatsplänen des 20. Juli 1944 wussten und somit gefährdet waren. Der Versuch, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen gelang. Und wegen "guter Führung" kam Flick sogar schon nach fünf Jahren wieder frei.

Nach der Haft
Am Tag seiner Entlassung war Friedrich Flick 67 Jahre alt. Sein Unternehmen war aufgestückelt, die Werke unter sowjetischer Besatzung waren enteignet. Dennoch begann Flick sein Unternehmen wiederaufzubauen. Innerhalb weniger Jahre - vor allem nach dem Verkauf seiner Steinkohleunternehmen und dem Einstieg in den Aufsichtsrat von Daimler Benz - stand er nicht nur liquide da, sondern war zu einem der mächtigsten und reichsten Männer Westdeutschlands geworden.

Doch während seiner gesamten Zeit als unabdingbarer Chef seines Unternehmens hatte Friedrich Flick eines nie geschafft: seine Söhne als Nachfolger aufzubauen, sie fühlten sich immer in seinen Schatten gestellt. Dies ist unter anderem ein Gegensatz zu den Familiendynastien Krupp oder auch Thyssen, die Flick nie akzeptierten! Sie betrachteten ihn auch in den Jahren seiner größten Erfolge als "Emporkömmling". So begann Anfang der 60er Jahre die große Familienschlacht um Erbe und Unternehmungsführung. "Friedrich Flick wollte ein dynastisches, über Generationen von der Familie geführtes Eigentum schaffen - aber er konnte nicht loslassen." Dem Prozess, der ein außergerichtliches Ende fand, folgte 1966 der Tod der Ehefrau. Friedrich Flick starb 1972. Er hinterließ seinen Erben ein intaktes und reiches Unternehmen.

Die Autoren Frei, Ahrens, Osterloh und Schanetzky leisten mit dieser Biographie eine ungeheure Quellenarbeit. Jeder Schritt - von Beginn der Karriere des Friedrich Flick bis zu seinem Ende - wurde mit Intensität verfolgt und belegt. Das 912 Seiten umfassende Werk besticht durch seine Genauigkeit und die Tatsache, dass es auf Skandale wenn überhaupt, dann äußerst nüchtern eingeht, und so den Mythos Flick herabholt. Übrig bleibt der Mensch Friedrich Flick, der "das Drama der deutschen Wirtschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert wie kein Zweiter verkörpert, dessen Namen man in Deutschland kannte wie in Amerika den Namen Rockefeller…"

Norbert Frei, Ralf Ahrens, Jörg Osterloh, Tim Schanetzky: Flick: Der Konzern, die Familie, die Macht, 912 S. Blessing Verlag 2009, 34,95 EUR, ISBN: 978-3-89667-400-5

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