Von Mathias Bartelt "'Islamischer Antisemitismus' und 'Islamophobie'": Das Thema ist ein Minenfeld. Was man auch sagt: man läuft Gefahr, ungewollt einer Gruppe auf die Füße zu treten. Die Verbindung von "Islamischem Antisemitismus" und "Islamophobie" rettet, wie sich schnell zeigt, diese Veranstaltung. Wäre eine Seite für sich allein behandelt worden, hätte das die Veranstaltung zum Scheitern verurteilt. Man muss den Hass beenden, fordert Politikwissenschaftler Matthias Küntzel. Zu weniger Aufgeregtheit, zu Multiperspektivismus, interreligiösem Dialog und unideologischen pragmatischen Lösungen rät Islamwissenschaftler Jochen Müller. Misstrauen und Hass Antisemitische, antizionistische oder antimoderne Ressentiments nehmen unter Muslimen wie Europäern zu, mahnt Küntzel. Nicht selten verschwimme die Grenze zwischen legitimer Israel-Kritik und Antisemitismus bis zur Unkenntlichkeit. Tatsächlich antisemitische Grundhaltungen in ihre Schranken zu weisen, werde zunehmend erschwert. Kritik an Israelkritik, so Küntzel, werde, auch in Feuilletons, immer mehr als Hexenjagd empfunden. Israel-Verteidiger meinen, die Kritik an Israel greife zu kurz und sei meist einseitig. Schnell ertönt der umgekehrte Vorwurf einer einseitigen Islam-Kritik. Obwohl inhaltlich oft überzeugend, vermögen nicht alle Redner/innen auf dem Podium zu versöhnen, manche polarisieren eher. Nicht jeder Ausdruck von Hass und Israelkritik, so Jochen Müller, dürfe gleich als Form des Antisemitismus verstanden werden. Der pauschale Verweis darauf mache, auch bei muslimischen Jugendlichen, die Türen zu. Es gebe eine nachvollziehbare Angst um Verwandte in Nahost, ein einseitiges Israel-Bild, doch auch authentische Empörung auf Grund von Ausgrenzung und eines auf einer Opferhaltung basierenden Wir-Gefühls. Ressentiments seien, wo vorhanden, selten in einer organisierten Weltanschauung begründet. "Die Juden" würden mithin als Sündenböcke missbraucht. Dialog mit Muslimen statt belehrender und emotional überwältigender Moralisierung oder Skandalisierung müsse im Vordergrund stehen. Hierfür ausgebildete Pädagogen müssten intervenieren, die Thematisierung solcher Probleme solle jedoch nicht bei ihnen abgeladen werden. Es sollte verdeutlicht werden, dass jüdische und palästinensische Flüchtlinge ähnliche Schicksale haben. Aufklärung, Selbstverantwortung und kritische Medienkompetenz sollten gefördert werden. Müller rät dazu, Eltern und muslimische Community einzubeziehen. Auf die toleranten Teile des Islam sollte sich bezogen, der eigene Standpunkt reflektiert werden. Kritik, Selbstkritik und, mit der eigenen Vergangenheit kritisch umzugehen, so Küntzel, kann man eben so bei den Juden lernen. Die Entwicklung des "islamischen Antisemitismus" Erst im 20. Jahrhundert, wie Küntzel vorträgt, habe sich der "islamische Antisemitismus" entwickelt. Grund: die gezielte Propaganda des deutschen Kaiserreiches im arabisch-islamischen Raum, die 1928 gegründete "Moslem-Bruderschaft" und die Nazipropaganda zwischen 1937 und 1945. Nach 1945 auch Maß gebend: die in Europa erfundenen und bald weit verbreiteten "Protokolle der Weisen von Zion" über die eben so erfundene "jüdische Weltverschwörung". Religiöser früh-islamischer Antijudaismus und die Idee des "Djihad" "fusionierten" so mit "modernem" europäisch-christlichem Antisemitismus. Eine religiöse und verselbständigte (Rück-) Wendung zum Antisemitismus sei in der zwischen 1830 und 1930 sehr weltoffenen und der Moderne zugewandten arabisch-islamischen Welt die Folge gewesen. Der ägyptische Machthaber Nasser habe seinerseits nach 1945 mit der Verbreitung der "Protokolle der Weisen von Zion" dazu beigetragen. Antijudaismus und Antisemitismus seien nicht kulturell verankert - nicht in Europa, nicht im arabisch-islamischen Raum. Die 1948 geplante 2-Staaten-Lösung in Palästina habe wegen des Mufti von Jerusalem und dessen Aufruf zum Krieg gegen Israel nicht realisiert werden können. Selbstmordattentate gäbe es erst seit 1983. Der Nahost-Konflikt trage zur Verstärkung des Antisemitismus bei, der wiederum, so Rechtsanwalt und Potsdamer Staatssekretär a.D. Klaus Faber, ein großes Friedenshindernis im Nahost-Konflikt sei. Müßige Wortspiele Eine verbreitete Islam-Feindlichkeit im konkreten Alltag der Menschen sei nach Länder übergreifenden Untersuchungen kaum der Fall, so der Londoner Politikwissenschaftler Kenan Malik. Die bekannte türkische Rechtsanwältin Seyran Ates ergänzt: Multikulturalismus und der Wunsch nach Frieden seien weltweite Phänomene. Es gäbe eine immer selbstbewusstere islamische Community. Sie warnt vor "Islamophobie" als "Kampfbegriff". Er spiele den "Konservativen" der Community in die Hände. Kritiker würden zum Teil unter Verweis auf die "Islamophobie" ausgegrenzt. Sie kritisiert eine Opferhaltung von Muslimen. Islamophobie sei der irrationale Hass auf die Abstraktion "Islam", ähnlich wie beim Antisemitismus. Beide dürften jedoch nicht vermengt werden, sonst seien die Moslems gar nicht mehr kritisierbar. Gleichwohl müsse man alle Religionen gleich behandeln. Nach Klaus Faber gibt es im arabisch-islamischen wie europäisch-christlichen Raum verschiedene (religiöse) Gruppen - auch hier müsse differenziert werden. Doch die Singularität und Gefährlichkeit von Antisemitismus müsse deutlich gemacht werden. Kein muslimisches Land werde wie Israel existentiell bedroht, auch würden Muslime nicht verfolgt. Es gebe keine Mythen über den Islam wie über einen "jüdischen Ritualmord an Kindern", keinen Islamhass wie jenen in der arabisch-islamischen Welt verbreiteten Hass gegen die Juden. Abneigung gegen islamische "Fremde" macht er aus, doch keine Islamfeindschaft. Es dürfe kein wie auch immer geartetes Verständnis für Antisemitismus geben. "Half the problem is terminology. We should more debate about problems and solutions.", bringt Kenan Malik die Diskussion auf den Punkt. "There is discrimination. There is hatred. But islamophobia is not a useful word." Zu Deutsch: "Die Begrifflichkeit ist (nur) die eine Hälfte des Problems. Wir sollten mehr über Probleme und Lösungen diskutieren. Es gibt Diskriminierung. Es gibt Hass. Aber Islamophobie ist kein brauchbares Wort." Die recht abstrakt geführte Begriffs-Diskussion auf dem Podium wirkt etwas abseits der realen medialen Debatte. Denn dort werde, so Teile des Publikums, sehr wohl ein Feindbild Islam geschürt. Im Alltag der Menschen ist jedoch kaum etwas davon zu spüren. So scheint auch die mediale Debatte zum Teil eine abgehobene zu sein. Und doch wird auf dieser Grundlage reale Politik gemacht und Hass geschürt. Dies so übergreifend und differenziert auszudrücken, gelingt keinem und keiner der Beteiligten in der Diskussion um "Islamophobie". Der Begriff sei ein Konstrukt, so das Ergebnis des Podiums. Doch danach hatte niemand gefragt. Sinn war nicht zuletzt, die beiden problematischen Haltungen und ihr Verhältnis im aktuellen gesellschaftlichen Diskurs zu beleuchten und eine gegenseitige Vermittlung in einer Gesamtperspektive zu bewirken. Doch dieses Ziel wird an diesem Tag nur bedingt erreicht.
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