Moloch Tropical: Krisenherd Haiti als Kammerspiel
„Moloch Tropical“ lief 2009 im Kino und behandelt ein Phänomen, dass das ärmste Land Südamerikas seit seiner Unabhängigkeit im Jahr 1804 immer wieder plagt: Dass ein brutaler Herrscher nicht merkt, wenn seine Zeit abgelaufen ist. Bis ihn jemand aus dem Amt jagt. Wer mit dem falschen Fuß aufsteht, hat für den Rest des Tages meist wenig zu lachen. So ergeht es auch Präsident Jean de Dieu. Dabei soll dies der größte Tag seines Lebens werden. In seinem Amtssitz, einer mächtigen Zitadelle auf einem Berggipfel, steht ein Staatsakt, besser: ein Mordsspektakel, zur Feier des 200. Jahrestags der Unabhängigkeit des Inselstaats an. Spitzenpolitiker aus aller Welt wurden eingeladen.
Revolte als Kammerspiel in „Moloch Tropical“
Schnell wird deutlich, dass einiges nicht planmäßig läuft. Landauf landab laufen Proteste gegen den vom Volk gewählten Despoten, der von sich und seinem Regime behauptet, die Demokratie „demokratisiert“ zu haben. Der Präsident ist längst zum Spielzeug seiner engsten Getreuen geworden, die rücksichtslos gegen die Opposition vorgehen. Umso sturer hält er an seiner Autosuggestion der Macht fest. Gleichzeitig regen sich in ihm Züge der Humanität. Das alles schützt ihn nicht davor, immer mehr zur tragischen Witzfigur zu werden. Derweil zieht sein vor allem aus Frauen bestehender Hofstaat die Fäden.
Ein Großteil der Geschichte spielt sich zwischen den Burgmauern ab. In diesem fast schon klaustrophobischen Rahmen verdichtet sich die Tragödie eines ganzen Landes zu einem ebenso bedrohlichen wie absurden Kammerspiel. Manches an der Hauptfigur erinnert an Haitis früheren Staatschef Jean-Bertrand Aristide: Jener Ex-Priester, der als Hoffnungsträger der bettelarmen Mehrheit gestartet war und am Ende wegen Machtmissbrauchs und Wahlfälschung am Pranger stand. Die Handlung, die sich letztendlich um die Pervertierung einer nur dem Namen nach so zu nennenden Demokratie rankt, ließe sich aber auch auf andere Gesellschaften übertragen. Die Dramatik des Geschehens wird durch eine ruhige Erzählweise kontrastiert, die die Lebenswelt des Präsidenten auch optisch als abgehoben inszeniert.
Folgen des Erdbebens in „Mord in Pacot“
Ein ebenso übersichtlicher wie verdichteter Rahmen prägt auch „Mord in Pacot“. Nachdem Peck das verheerende Erdbeben von 2010 – damals starben rund 316.000 Menschen – bereits in einem Dokumentarfilm behandelt hatte, knöpfte er sich nun die Folgen des Desasters für die bürgerliche Oberschicht in einer fiktiven Geschichte vor. Schauplatz des Ganzen ist fast ausschließlich ein zerstörtes Villengrundstück in der Hauptstadt Port-au-Prince.
Die Besitzer, ein um sein Adoptivkind trauerndes Ehepaar, haben sich in ein unzerstörtes Nebengebäude zurückgezogen und stehen in mehrfacher Hinsicht vor den Trümmern ihrer Existenz. Und dann kommt auch noch die Villa auf die Abrissliste. Dessen ungeachtet quartiert sich dort ein westlicher Entwicklungshelfer mit seiner haitianischen Freundin ein. Für den namenlosen Mann und seine Frau steht die Welt Kopf. Unausgesprochene Widersprüche erzeugen eine ganz eigene Dynamik. Auch der ganz besondere Blick der reichen Länder auf Armutsgebiete wie Haiti kommt dabei zum Tragen.
In beiden Filmen wirft Peck, der als ehemaliger Kulturminister über einigen politischen Stallgeruch verfügen dürfte und mittlerweile in Paris lebt, einen ebenso pointierten und kunstvollen wie um Realismus bemühten Blick auf sein Land, das für viele Außenstehende gemeinhin hinter einem Schleier des Schreckens oder der Unkenntnis verborgen bleibt. Gerade die Rollenverhältnisse sorgen immer wieder für überraschende Wendungen.
Als Extras haben die DVDs, die mit einer fulminanten Bild- und Tonqualität aufwarten, unter anderem ein Interview mit Raoul Peck, einen Ausschnitt der Berlinale-Pressekonferenz von 2015 sowie ein Making-of zu bieten.
Info: „Moloch Tropical“ (Haiti / Frankreich 2009), ein Film von Raoul Peck,, mit Zinedine Soualem, Sonia Rolland, Mireille Metellus, Nicole Dogue u.a., OmU, 107 Minuten
„Mord in Pacot“ (Frankreich /Haiti /Norwegen 2015), Ein Film von Raoul Peck, mit Alex Descas, Joy Olasunmibo Ogunmakin, Thibault Vinçon, Lovely Kermonde Fifi u.a., OmU, 130 Minuten
Mehr Infos: www.filmgalerie451.de, ab 3. Juni auf DVD