Kultur

Mittwoch 04:45: Schlaflos in Athen

Die Rückzahlung eines Kredits als Überlebensfrage: Das düstere Drama „Mittwoch 04:45“ erzählt davon, wie ein griechischer Clubbetreiber dagegen kämpft, in den ökonomischen und moralischen Abgrund gerissen zu werden.
von ohne Autor · 5. Februar 2016

Je größer der Idealismus, desto höher kann die Fallhöhe im Leben sein. Diese bittere Erfahrung macht Stelios. Mit einem Jazzclub in Athen wollte er sich einen Lebenstraum erfüllen. Von seiner Idee beseelt nahm er unter der Hand einen Kredit auf. Doch mit der Finanz-und Wirtschaftskrise droht der Traum zu zerplatzen. Der Schuldenberg des Clubbesitzers wird immer höher. Jahre später verlangt der dubiose Geldgeber seinen Kredit zurück. Will Stelios mit Familie und Club heil aus der Sache herauskommen, bleibt ihm ein Tag, um 140.000 Euro aufzutreiben.

Desillusionierung und Wut

Der Film des 1976 geborenen Regisseurs Alexis Alexiou führt ins Herz der seit Jahren andauernden griechischen Krise. Längst durchdringt sie weite Teile der Gesellschaft. Und das nicht nur in Form einer zunehmenden Verarmung: Desillusionierung und Wut greifen immer mehr um sich. Auch in dieser Woche erlebte Athen gewaltsame Proteste gegen die Sparpolitik der Regierung, lieferten sich Vermummte Straßenschlachten mit der Polizei.

Dieses kollektive Dasein am Abgrund mit seinen psychologischen Langzeitfolgen bildet den Rahmen für eine Geschichte zwischen Untergang und Wiederauferstehung. Während Stelios durch die Stadt hetzt, ist zu spüren, wie wenig mittlerweile genügt, um das Heer der Frustrierten in den Straßen zum Explodieren zu bringen: Kinder bewerfen einen Wachmann mit Eiscreme, Jugendliche zertrümmern den Schädel eines Drogendealers und ein Junkie ermahnt die Menschen um ihn herum, ihn zu akzeptieren. „Mich anzufassen, ist nicht tödlich“, brüllt er, während er von Autofahrern Kleingeld schnorrt. Und jegliche zwischenmenschliche Beziehung gerät zunehmend illusionslos.

Lebenswerk in Gefahr

Auch Stelios geht es darum, seine Würde zu verteidigen. Kann er zulassen, dass sein Gläubiger – im Film nur „der Rumäne“ genannt – mit einem Handstreich den Club, also sein Lebenswerk übernimmt? In dessen Augen hat Stelios die letzten Jahre ohnehin auf großem Fuße gelebt. Das schöne Haus für die Familie und ein dickes Auto genügen ihm als Beleg – ein Verweis auf die von Boulevardmedien befeuerte Debatte über das angebliche Luxusleben der Durchschnittsgriechen? Wie dem auch sei: Würde steht im Fall von Stelios weniger für einen Ehrbegriff als für einen eigenen Lebensentwurf. Und dieser ist in höchster Gefahr: Vergeblich versucht er, die Schulden einzutreiben, die seine Geschäftspartner, Freunde und Verwandte bei ihm haben. Auch die Bank zeigt sich wenig kooperativ. In seiner Verzweiflung wählt er den Weg der Gewalt. Doch nach dem blutige Finale gibt es keinen Gewinner.

Ein Mann und eine ganze Gesellschaft am Limit: Mit einer Mischung aus Schrecken und Faszination verfolgen wir, wie  Stelios vorwiegend nachts im Auto durch die Stadt geistert. Durch Licht- und Farbeffekte bekommt die Szenerie mitunter etwas Traumwandlerisches, wozu auch das Spiel mit den Zeitebenen beiträgt. Das dämmerige bis finstere Ambiente unterstreicht den Eindruck einer übermächtigen Agonie, deren Ende nicht absehbar ist. Wer hätte gedacht, dass Athen so eine gelungene Endzeitkulisse abgeben könnte? Auch mit Stelios geht es immer weiter bergab. Immer enger zieht sich die Schlinge des Mafiaklüngels. Als Zuschauer tappt man bei der Frage, was als nächstes passieren könnte, sprichwörtlich im Dunkeln, wodurch der Spannungspegel bis zum Schluss ganz oben bleibt.

Abschied vom Koks

Als hätte Stelios nicht schon genug um die Ohren, beschließt er im Zeichen der Krise auch noch, sein Leben von Grund auf zu ändern. Endlich möchte er ein treuer Ehemann und aufmerksamer Vater sein. Körperliche Verfallserscheinungen zeigen, dass das unstete Dasein an diesem stets adrett in Hemd und Sakko gekleideten Mann nicht spurlos vorbeigegangen ist. Also künftig Hände weg von der Geliebten und vom Koks!

Im Stil des Neo-Film Noir schildert „Mittwoch 04:45“ in mehreren Episoden, wie die persönliche und die kollektive Krise ineinander greifen und am Ende die Wandlung eines Menschen befördern. Trotz all der Düsternis und Katastrophenstimmung bleibt jedoch Platz für einen lakonischen bis bitteren Humor. Sehr wohl trägt das Ganze Züge eines Thrillers, doch von einem Genrefilm im klassischen Sinne kann nicht die Rede sein. Um dem Gegenstand der Erzählung gerecht zu werden, war die Entscheidung, nicht nur auf mehr als stimmig umgesetzte Thrillerlemente – man  nehme allein den fesselnden Zeitlupen-Showdown – zu setzen, absolut richtig. Gerade dadurch erlangt die Hauptfigur, die auch als Symbolfigur gesehen werden kann, die nötige psychologische Tiefe. Dass Alexiou dafür recht häufig auf die Kraft symbolträchtiger Bilder setzt, lässt sich verschmerzen.

Info: Mittwoch 04:45 (Griechenland/Deutschland 2016), ein Film von Alexis Alexiou, mit, Stelios Mainas, Adam Bousdoukos, Mimi Branescu u.a., 116 Minuten. Jetzt im Kino.

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