Ai Weiwei Superstar. Seine Form ist die große Geste, seine Waffe ist das Internet. Er weiß wie er seine Kunst vermarktet und er versteht es, seine politischen Forderungen öffentlich zu machen. Die Welt kennt den berühmten chinesischen Dissidenten. Die US-amerikanerische Regisseurin Alison Klayman wagt eine filmische Annäherung: „Ai Weiwei. Never Sorry“.
Ai Weiwei filmt mit. Die Polizei hämmert nachts an die Tür seines Hotelzimmers. Als sie sie eingetreten haben, ist bereits eine Kamera auf sie gerichtet. Das verhindert nicht, dass er geschlagen wird, dass er daran gehindert wird in einem Prozess auszusagen. Doch Ai Weiwei nutzt das Filmmaterial, um Öffentlichkeit zu erzeugen. Die erlittene Kopfverletzung lässt er in München operieren – auch den Heilungsverlauf dokumentiert und teilt er online. Der Künstler erregt Aufmerksamkeit und lenkt sie auf Dinge, die der Staat lieber nicht öffentlich gemacht hätte.
Etwa die Kinder und Jugendlichen, die 2008 bei dem schweren Erdbeben in der chinesischen Provinz Sichuan getötet wurden. Baumängel an den öffentlichen Gebäuden macht Ai Weiwei für Tausende tote Jugendliche verantwortlich. Mit Hilfe von Freiwilligen hat er ihre Namen zusammengetragen, in Listen dokumentiert und sie online veröffentlicht. Weiwei beherrscht das Internet und nutzt seine Medienkompetenz für seinen politischen Aktivismus.
Ein leiser Film über einen lauten Künstler
Warum er keine Angst habe, fragt die US-amerikanische Regisseurin Alison Klayman. Er habe Angst, mehr als andere sogar. Gerade deshalb müsse er was tun, sagt Ai Weiwei. Er kämpft für mehr Transparenz und weniger Willkür. Wenn nötig, allein. Dafür hat Klayman ein schönes Bild gefunden und es zur Eröffnungsszene ihres Films „Ai Weiwei: Never Sorry“ gemacht. Ai Weiwei hat vierzig Katzen. Nur eine von ihnen kann Türen öffnen. Er wüsste nicht, dass Katzen das können, hätte er diese eine nicht, sagt Weiwei. Klaymans Auftakt ist so leise und unaufgeregt wie ihr ganzer Film über den laut polternden Künstler. Genau das ist die Stärke dieses eindringlichen Porträts.
Die Filmemacherin hat Ai Weiwei mehr als drei Jahre lang begleitet. Sie war im Atelier des erfolgreichen Künstlers, in seinem Wohnhaus, bei zwei seiner Ausstellungen in Europa. Die US-Amerikanerin, die in Peking lebt und Mandarin spricht, hat seine Mutter kennengelernt, seine Frau, seinen unehelichen Sohn und dessen Mutter, Mitarbeiter und Weggefährten. Sie interessiert sich auch für Weiweis Zeit in New York, wo er mehr als zehn Jahre lang – von 1981 bis 1993 lebte und studierte. Die Fülle von Material hat sie zu einem Porträt verdichtet.
Transparenz ist sein Schlachtfeld
Was treibt Ai Weiwei an? Die Generation seines Vaters habe es versäumt, Verbesserungen durchzusetzen. So sei seine Generation an der Reihe, erklärt Ai Weiwei. „Transparenz ist sein Schlachtfeld“, sagt eine Kuratorin über ihn. Ai Weiwei ist einer der berühmtesten Gegenwartskünstler Chinas, er stellt im Ausland aus, er hat das „Vogelnest“ mitentworfen, das Pekinger Nationalstadion, das für Olympischen Spiele 2008 erbaut wurde. Seine Karriere ging steil nach oben. Doch Ai Weiwei distanzierte sich von dem Stadionprojekt und übte offen Kritik am chinesischen Staat. Die ist nicht subtil, aber wirkungsvoll.
„Weiwei möchte Dir ins Gesicht schlagen, er möchte Dich schockieren“, sagt sein New Yorker Kurator. In seiner Kunst zerbrechen wertvolle antike chinesische Vasen. Weiweis gestreckter Mittelfinger kommentiert, was auf seinen Fotos zu sehen ist. Er scheut die große Geste nicht: Mit 7000 Rucksäcken an der Fassade des Münchner Hauses der Kunst erinnerte er an die toten Kinder von Sichuan. In der Londoner Tate Modern ließ er 100 Millionen handbemalte Attrappen von Sonnenblumen-Kernen verteilen.
Öffentliche Aufmerksamkeit als brüchiger Schutzschild
Als der chinesische Staat sein neu gebautes Atelier abreißen lässt, lädt er via Internet zur Abriss-Party ein. Eine Geste, Ai Weiwei lässt sich nicht unterkriegen. Er steht unter Hausarrest als die Party steigt, doch Hunderte kommen zum Atelier. Mission erfüllt, die Öffentlichkeit ist informiert und aktiviert. Vom Abriss macht er selbst Fotos – und verbreitet sie online.
Ai Weiwei Superstar. Doch Klaymans Film feiert den Dissidenten nicht, er ist keine Heldenverehrung. Die Regisseurin kommt einem Künstler nahe, der ausstrahlen möchte und dafür viel riskiert. Sie zeigt einen Mann, der seine Popularität genießt und sie nutzt. Seine Provokationen sind kalkuliert und prangern an. Dass die öffentliche Aufmerksamkeit ein Schutzschild aus Pappe ist, weiß der Künstler.
2011 wird er verhaftet und an einem unbekannten Ort festgehalten. Der Film endet mit seiner Freilassung 81 Tage später. Klayman zeigt wie er – der bis dahin jährlich 100 Interviews für die ausländische Presse und ebenso viele für die chinesische gab – vor den wartenden Reportern nur ein „So sorry“, es gebe leider kein Interview, wiederholt.
Ein Jahr lang stand Weiwei unter Hausarrest gestellt. Der ist nun vorüber. Noch hat er seinen Pass nicht zurück. Er darf nicht ausreisen, nach der Verurteilung wegen Steuerhinterziehung werden von staatlicher Seite neue Vorwürfe laut. Weiwei hat eine Gastprofessur an der Berliner Universität der Künste angenommen. Ob und wann er sie antreten kann, ist ungewiss. Klayman jedenfalls zeigt in „Never Sorry“ einen Unbeugsamen - "Ai Weiwei: Never Sorry".
„Ai Weiwei: Never Sorry“, Regie Alison Klayman, USA 2012,
im Kino
Goetz Schleser
ist Redakteurin, die für den „vorwärts“ über Kultur berichtet.