Kultur

„Made in Germany“: Wie Integration gelingen kann

Die aktuelle Migrationskrise stellt auch Deutschland vor Herausforderungen. Was bedeutet es heutzutage, deutsch zu sein – in einer Gesellschaft, die so vielfältig ist? Und was meint überhaupt „Integration“? Diesen Fragen geht die deutsch-kroatische Autorin Jagoda Marinić in ihrer Essay-Sammlung „Made in Germany“ nach.
von · 16. Mai 2016

„Made in Germany“, dieses Etikett steht weltweit für gute Qualität. Deutsch ist, was qualitativ hochwertig ist. Zumindest gilt das für Produkte. Geht es hingegen um Menschen, ist das Ganze nicht so einfach. Über eine Million Flüchtlinge wanderten 2015 nach Deutschland ein, während des Höhepunktes der sogenannten „Flüchtlingskrise“. Ungefähr 300.000 werden es Prognosen zufolge 2016 sein. In Deutschland möchte man nun, dass die Flüchtlinge, die bleiben, sich der deutschen Kultur und Gesellschaft anpassen. Von „Leitkultur“ ist dann oft die Rede. Aber: Was ist noch deutsch in einem Land, das spätestens durch die Gastarbeiter-Immigration in den 1950er Jahren zum Einwanderungsland wurde?

Integration in Deutschland: Geschichten vom Gelingen

Diese Frage stellt sich die deutsch-kroatische Autorin und Theaterregisseurin Jagoda Marinić in ihrem Buch „Made in Germany. Was ist deutsch in Deutschland?“. Es umfasst fünf Reden, die Marinić in den letzten Monaten in Deutschland und den USA gehalten hat, sowie einen einleitenden Essay. „Warum nicht mal Zuversicht?“ heißt der und fasst damit die Haltung der Autorin ganz gut zusammen: „Das Gelingende hat leider einmal mehr zu wenig Platz in der deutschen Selbstwahrnehmung“. Tausende Bürger und Bürgerinnen, so Marinić, würden sich täglich „im Stillen“ für das Gelingen der Integration einsetzen. Und doch fänden die lauten, krawalligen Demonstranten in Dresden mehr Gehör.

Das findet Jagoda Marinić umso bedauerlicher, weil noch vor ein paar Jahren ein neuer. hoffnungsvoller Diskurs über Einwanderung und Integration begonnen hätte: Das Staatsbürgerrecht wurde geändert, man sprach von „gesellschaftlichem Zusammenhalt“. Und jetzt? „Es hat eine gewisse Tragik“, schreibt Marinić, „dass just in dem Moment, da Deutschland versucht, durch vorbildhafte Zuwanderungsgesetze und Neuerungen im Staatsbürgerrecht die Fehler der Vergangenheit wiedergutzumachen, die Dringlichkeit der Ereignisse des letzten Jahres eine sachliche Debatte unmöglich macht.“ Ihre ernüchterte Bilanz lautet: „Es kann – schon wieder – nicht normal über das Einwanderungsland Deutschland gesprochen werden.“

81 Millionen Menschen integrieren

Trotzdem versucht Marinić es. Sie verknüpft Politik- und Gesellschaftsanalyse mit persönlichen Erlebnissen, zeigt sich besorgt über den aktuellen Rechtsruck, hebt aber auch die vielen positiven Entwicklungen hervor. Zum Beispiel, dass sich endlich die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass Integration nicht nur Sache derjenigen ist, die nach Deutschland kommen: „Politiker sagen bei fast allen Anlässen, zu denen ich Reden hielt, Sätze wie: ‚Man muss nicht 16 Millionen Menschen integrieren, sondern 81 Millionen‘“. Es gebe, so Marinić, keine Mehrheitsgesellschaft im klassischen Sinn mehr – Deutschland sei mittlerweile zu vielfältig. Ein neues Konzept für gesellschaftlichen Zusammenhalt müsse her, denn nationale Identität sei eben nicht mehr über Generationen des „Deutschseins“ ableitbar.

In Sachen Immigration hat Deutschland jahrzehntelange Erfahrung – das vergisst es selbst aber immer wieder. Stattdessen: panische Überforderung. Marinić erinnert an die Gastarbeiter in den 1950ern, an die Balkankriege in den 1990ern. Auch damals kamen Millionen von Menschen. Viele gingen später zurück in ihre Heimat – viele blieben aber auch, darunter zahlreiche Muslime. Marinić: „In Deutschland gibt es einen immensen, noch nicht gehobenen Erfahrungsschatz im Umgang mit Einwanderern – doch zu selten wird auf diese positive Weise erzählt.“ Aus der eigenen jüngeren Vergangenheit sei kein „ermutigendes Narrativ“ hervorgegangen.

Auf den Weg zum „Wir“

Geschichten von Menschen, die – wie Jagoda Marinić es nennt – „mehr als eine Kultur kennen“, werden in Deutschland zu selten erzählt, finden zu selten Gehör: „Geschichten müssen nicht immer das große Ganze erzählen, ein Individuum muss nicht immer das große Ganze vor Augen haben, aber eine Gesellschaft als Ganzes, wenn sie sich als solche behaupten möchte, muss so viele Erzählungen anbieten, dass verschiedene Biographien in ihr Halt finden können.“ Sprache ist wichtig, gerade beim Sprechen über Integration.

„Made in Germany“, das steht heute nicht nur für hochwertige Produkte – sondern auch für den Selbstfindungsprozess einer Nation. Was ist deutsch in Deutschland? Darauf hat Jagoda Marinić keine Antwort. Sie schreibt, die deutsche Gesellschaft habe sich gerade erst auf den Weg gemacht zu einem „Wir“, fort von der Zweiteilung in „Ihr“ und „Wir“. Ein Wir, das fragt: „Wer bist du?“, statt „Woher kommst du?“.

Jagoda Marinić: „Made in Germany. Was ist deutsch in Deutschland?“, Hoffmann und Campe, 174 Seiten, ISBN 978-3-455-50402-6

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