Kultur

Lob des Autokraten

von Die Redaktion · 24. September 2008
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Von Mathias Bartelt Die äußerst kontroverse Diskussion über Bernhard Buebs vorheriges Buch "Lob der Disziplin" von 2006 klingt noch im Ohr. Pauschalurteile, autoritärer Paternalismus und Schlimmeres wurden ihm quer durch Medien, Wissenschaft, Erziehungswissenschaft, Lehrerverbände und Gesellschaft bescheinigt. Das Buch "Die Pflicht zu führen" ist eine offensive Antwort auf die nach "Lob der Disziplin" gestellte Frage: Ist Bildung auch Führung? "Ja", sagt Bueb. Sogar hauptsächlich. Er will "die Dinge beim Namen nennen", fordert eine neue "Führungskultur" und nimmt ausdrücklich Anleihen bei der "Unternehmenskultur". Autonomie, die ich meine Buebs Kernforderung: Schulleiter müssen führen. Nur für die Lehrer sollen sie da sein, die wiederum die Schüler führen sollen. Schüler und Lehrer hätten ein "Recht auf Führung", auf "Wegweisung" und "Gerechtigkeit". Führen bedeute auch das Ermutigen der Schüler, "... sich ihres Verstandes zu bedienen", sagte Bueb während der Buchvorstellung. Schulleiter, nicht die Bildungsverwaltung, sollen Lehrer einstellen, entlassen und Zielvereinbarungen mit ihnen schließen dürfen. Autonomie der Schulleiter statt Autonomie der Lehrer. Schulen bräuchten eine leistungsabhängige Mittelzuweisung und Zielvereinbarungen zwischen Schulleiter und Staat. Abschaffung von Beamtenstatus und Unkündbarkeit der Lehrer sind seine gar nicht so neuen Heilsbotschaften. Gut ist, so Bueb, die Unabhängigkeit vom Staat. Schlecht sind die als "planwirtschaftlich" postulierten staatlichen Vorschriften. Freilich müssten auch Schulleiter nach wiederholten negativen Evaluationen entlassen werden können - ohne deutlich zu machen, von wem. Mehr politisches Engagement von Lehrern, Schulleitern und Eltern fordert er. Lehrer, Eltern und Schulleiter sollen sich für die Autonomie der Schulleiter einsetzen. Machtverlagerung statt Machtbeschränkung. Sein Buch hat er "den Lehrerinnen und Lehrern" gewidmet. Zielvereinbarungen und leistungsbezogene Mittelvergabe: Bedingungen, wie sie für viele deutsche Hochschulen bereits bestehen. Die "Autonomie" der Leitungen fordern auch viele heute schon starke Hochschul-Präsidenten für sich. Im Frühjahr 2007 hatte der vom Verband der bayrischen Wirtschaft initiierte und finanzierte "Aktionsrat Bildung", dem FU-Präsident Dieter Lenzen vorsitzt, auch für die Schulen insbesondere diese drei Forderungen aufgestellt. Autoritärer Muff im modernen Gewand Der erste Eindruck trügt nicht: Seite für Seite wartet das Buch auf mit "Menschen brauchen Führung", "Schulleiter sind 'Könige Ohneland'" oder "Segnungen von Führung" in Zusammenhang mit christlicher "Seelenführung". Bueb beruft sich auf Rockefeller, will mit "moderne(n) Führungstheorien" wie "Schülermitverantwortung" und "Teamarbeit" überzeugen und nennt dieses Delegieren - jedoch nicht das Abgeben - von Verantwortung "demokratischer Führungsstil". Lobend nimmt er weitere Anleihen: "Bedeutende Schulgründer und Schulreformer besaßen in der Regel sogar diktatorische Züge, benevolent despotism (was man mit 'aufgeklärter Absolutismus' übersetzen könnte) nennen die Engländer einen solchen Führungsstil." Sogar Artikel 5 der in Teilen recht schwammig formulierten UN-Kinderrechtskonvention von 1989, die Kritiker nach "Lob der Disziplin" anführten, wendet er nun gegen sie: Das Kind sei in seiner Entwicklung "... angemessen zu leiten und zu führen". Monarchie oder Demokratie? "Sie können Lehrergruppen an der Kleidung erkennen," wer solchen Allgemeinplätzen oder auch seinen Anekdoten bildungspolitische Weisheiten abgewinnen will, übersieht den Vorrang der Autorität. Den zielsicher von Günther Jauch abgefragten Kritikpunkten weicht Bueb kaum aus. Ob Monarchie oder Demokratie schlechtere Führungspersönlichkeiten hervor gebracht habe, will Jauch am Ende wissen. Im Publikum zum Teil bereits belächelt, eine unsichere Antwort: Wahrscheinlich habe die Demokratie nicht ganz so viel schlechte Führungspersönlichkeiten hervor gebracht. Bueb deutet die Moderne um und wendet sie gegen sich selbst. Er verbiegt, vermengt und vereinnahmt viele weitere Begriffe und Werte und richtet sie aus nach "Führen" und "Führung". Nirgendwo überzeugt diese Verengung. Er argumentiert nicht. Er postuliert. Das Tabu-Wort meidet er, und schlägt doch dreist eine Bresche in diese Tabuisierung. Wie schon am vorherigen Buch kritisiert, scheint er überzeugt, im Besitz der Wahrheit zu sein. Es lässt kaum Zweifel daran, dass der Absolvent der Philosophie und der Katholischen Theologie Bueb aus der Warte eines Menschen mit konservativ-christlicher Prägung spricht. Anknüpfung an neue wissenschaftliche Erkenntnisse, an bildungspolitische und erziehungswissenschaftliche Fortschritte? Fehlanzeige. Stattdessen Allgemeinplätze und ein klares Rollback in die konservative Restauration der 50er Jahre, schadlos über die Jahrzehnte konserviert in Salem und angereichert mit den "Segnungen" des Unternehmertums. Offen und unbedarft legt er sein Machtdenken aus der erlebten Selbstverständlichkeit seines 30-jährigen Führens von Salem frei. Alles kommt vom und führt zum "Führen". Nicht mehr. Bernhard Bueb, Von der Pflicht zu führen. Neun Gebote der Bildung, Ullstein Verlag September 2008, 176 Seiten, € 18,00, ISBN: 978-3-550-08718-9.

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