Als festen Treffpunkt für Schriftsteller aus aller Welt, lobte Kulturstaatsminister Bernd Neumann das Literaturfestival in seiner Begrüßungsrede. Hier können Autorinnen und Autoren offen
miteinander ins Gespräch kommen. Diese Möglichkeit bliebe vielen von ihnen in ihren Heimatländern verwehrt. Gleichsam appellierte er an die Erwachsenen, das Festival zu nutzen, um ihre Kinder an
die Literatur heranzuführen. Denn gerade die kulturelle Bildung - vor allem das Lesen - sei eine Schule für Toleranz, Fantasie und Weltoffenheit.
Somit werde die Literatur zur Schlüsselqualifikation für ein erfülltes Leben. Das Literaturfestival in Berlin habe sich zu einer festen Größe im kulturellen Leben der Stadt etabliert. Es wäre
begrüßenswert, so Bernd Neumann, wenn das "Poesiefestival Berlin" unter das Dach der Berliner Festspiele zöge, um beide angemessen finanziell unterstützen zu können. Dieser Vorschlag wurde bereits
einen Tag später von der Literaturwerkstatt Berlin abgelehnt. In diesem Jahr wurde allein das Literaturfestival seitens des Bundes mit über 350000 Euro gefördert.
Der Schriftsteller als Kämpfer für Frieden und Versöhnung
Der Chef der Senatskanzlei, André Schmitz, verwies auf die vielen Übersetzungen in die deutsche Sprache, die das Festival fördere. Dadurch würde die Literatur von hierzulande wenig bekannten
Autoren einem breiten deutschen Publikum zugänglich. André Schmitz erinnerte auch daran, wie sehr die Schriftsteller bei ihrer Arbeit von der politischen und ökonomischen Situation beeinflusst
seien. Beispielhaft lobte er den Hauptredner des Abends, den israelischen Schriftsteller David Grossman. Unermüdlich setze dieser sich für den palästinensisch-israelischen Frieden ein. Das wurde im
vollbesetzten Festsaal mit Applaus quittiert.
Ulrich Schreiber, Initiator und Leiter des Literaturfestivals zeigte sich erleichtert über den Willen der Politik, das Festival weiterhin zu unterstützen und zu fördern. Der ursprüngliche
Plan, das Festival nur noch alle zwei Jahre stattfinden zu lassen, sei damit vom Tisch.
Die Literaturkritikerin Sigrid Löffler begrüßte den Autor David Grossman. Bereits im vergangenen Jahr wollte er zu den Gästen sprechen. Doch als sein Sohn Uri im Krieg fiel, war an das
Festival natürlich nicht mehr zu denken. David Grossman hielt stattdessen eine flammende und viel beachtete Rede im israelischen Parlament. Er forderte vom israelischen Ministerpräsidenten Ehud
Olmert, jedwede Kriegshandlung sofort einzustellen.
Die Mauer des Schweigens
Noch vor wenigen Jahren wäre es unvorstellbar gewesen, unterstrich David Grossman, dass ein israelischer Schriftsteller in Berlin ein internationales Literaturfestival eröffnet. 1954 in
Israel geboren sei er in einer Zeit und Umgebung aufgewachsen, in der die Erwachsenen noch nicht einmal in der Lage dazu gewesen wären, das Wort "Deutschland" oder "Shoah" überhaupt auszusprechen.
Hinter einer Mauer des Schweigens habe er sich mit aufgeschnappten Satzfetzen nur bruchstückhaft zusammenreimen können, dass diesen Menschen etwas Furchtbares widerfahren sein musste.
In seinen Werken, vor allem in dem 1991 erschienenen Roman "Stichwort: Liebe" beschäftigt David Grossman sich mit dem Erwachsenwerden und dem Erklären des Holocaust. Wirklich verstanden habe
er seine Eltern und deren Freunde jedoch erst Jahre später - als sein dreijähriger Sohn völlig verwirrt aus dem Kindergarten kam und ihn fragte, was "Nazis" seien. Da nämlich habe er das Gefühl
gehabt, dass selbst wenn er nur andeutungsweise den Holocaust erläutere, sein Sohn nie wieder ein normales Kind sein würde. Bereits lange zuvor habe er sich damit auseinandergesetzt habe, wie er
selbst in der NS-Zeit reagiert und gelebt hätte: ob nun als Jude im KZ oder als Täter. David Grossmann wies daraufhin, dass Nicht-Juden bezüglich des Holocausts immer von "damals" sprechen, während
Juden vom "dort" sprächen. Für Juden seien der Antisemitismus und das Erlebte immer präsent, immer schwelend, während Nicht-Juden dies in die Vergangenheit schöben und als etwas Abgeschlossenes
betrachteten.
Die Mechanismen der Massen
Grossman warnte denn auch vor den Mechanismen der "Vermassung", vor den Massenmedien, die sich nur scheinbar um das Individuum kümmerten, während sie mittels Sprache, Themenauswahl und deren
rascher Abfolge die Nuancen verwischten. Der Trend, keine wirkliche Verantwortung für andere Menschen oder bestimmte Geschehnisse zu übernehmen, sich nicht mehr an bestimmten Werten zu orientieren,
sei auch den Medien geschuldet. Die Literatur sei eine Alternative und fördere das Nachdenken über eine andere Weltordnung.
Maxi Hönigschmid
Bis zum 16. September gibt es zahlreiche Lesungen und Diskussionen mit dem diesjährigen Schwerpunkt Lateinamerika. Themen, Veranstaltungsorte sowie die komplette Rede von David Grossman:
www.literaturfestival.com
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