Glückwunsch zu Ihrem neuen Buch! Es vereinigt 120 Kolumnen, die in den letzten Jahren in der „Frankfurter Rundschau“ und der „Berliner Zeitung“ erschienen sind und die sich an Monika Piel, die WDR-Intendantin, den Eisbären Knut und an Steve Jobs wenden oder „Liebe türkische Nationalisten“, „Liebes Gesabbel den ganzen Tag“ oder „Liebe saftige Pornographie“ überschrieben sind.
Man sieht schon: Das Themenspektrum ist weit, jede Partei oder Interessengruppe von Belang bekommt ihr Fett weg, und man lernt die eine oder andere vor allem englischsprachige Redewendung kennen wie etwa „hot shit“. Merke: Die Artikel sind durchweg bildenden Charakters.
Unabhängig, „dass es nur so kracht“
Wie es sich für eine Kolumnistin gehört, beschäftigen Sie sich nicht nur mit den Sudeleien der „Bild“-Zeitung, sondern auch mit den extrem langweiligen Parteien-proportionierten „Sommerinterviews“. Die werden von Ihnen zu Recht als „Krampfader des Öffentlich-Rechtlichen“ bezeichnet mit ihren Moderatoren Bettina Schauten oder Thomas Walde, die „politisch unabhängig“ seien, „dass es nur so kracht“.
Auch das Thema Integration, liebe Mely Kiyak, kommt bei Ihnen auf eine Weise vor, die sich wohltuend vom herkömmlichen Gesülze unterscheidet. Es ist schön zu lesen, wie Sie beschreiben, wie Integration thematisiert wird, wenn etwa beim WDR bei einem Fußballspiel zwischen Schalke und Fenerbahçe Istanbul der türkischstämmige Cafébesitzer in der Gelsenkirchener Innenstadt sagen darf, er sei, wie immer das Spiel ausgehe, auf der Seite des Siegers.
„... dann gibt es diesen NSU noch“
Vielen Dank auch, Mely Kiyak, dass Sie sich darüber lustig machen, dass „just for fun“ Preise aus dem Boden gestampft werden, die ihr Blech nicht wert sind. Etwa der „Steiger Award“, den auf einem Festakt ohnegleichen der Designer Wolfgang Joop, der Sänger Tim Bendzko genau wie Königin Silvia von Schweden oder der türkische Regierungschef Recep Tayyip Erdoğan verliehen bekommen. Die Sache wird nicht besser dadurch, dass Ex-Kanzler Gerhard Schröder die Laudatio hält.
Richtig beklemmend sind Ihre Kolumnen zum Nationalsozialistischen Untergrund NSU. Drei „Einzeltäter“, von denen zwei schon nicht mehr leben: Das solle es gewesen sein? „Wenn die drei dem NSU angehörten, dann gibt es diesen NSU noch. Dann sind es viele Menschen, bestehend aus Informanten, Geldbeschaffern, Organisatoren, Mitwissern. Aus der Szene und in Behörden. Handelt es sich wirklich nur um zehn Morde und zwei Bombenanschläge? ... Rassismus ist die Ursache für Mord und Zerstörung, aber auch die Ursache für skandalös geführte Ermittlungen.“
Wenn man so etwas liest, wird man leicht unruhig. Ist noch nicht genug gebohrt, sind noch nicht die richtigen Leute vor den Bundestagsuntersuchungsausschuss geladen und so in die Mangel genommen worden, wie es weiland im Flick-Ausschuss Willfried Penner mit Helmut Kohl vorgeführt hat?
Liebe Mely Kiyak,
vielen Dank für Ihre ernsten und Ihre spöttischen, die glossierenden und die mahnenden, die bitteren und die unmittelbar die Lachmuskeln in Tätigkeit setzenden Aufsätze, Betrachtungen und Mini-Essays. Schreiben Sie weiter so, Ihr Leser Matthias Dohmen.
Mely Kiyak: „Briefe an die Nation und andre Ungereimtheiten“. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2013, 376 Seiten, 9,99 Euro. ISBN 978-3-596-19619-7
Matthias Dohmen hat Germanistik, Geschichte, Politologie und Philosophie studiert, arbeitet als freier Journalist und ist 2015 mit einer Arbeit über die Rolle der Historiker West und Ost im "deutschen Geschichtskrieg" promoviert worden.