Kultur

„Leberzirrhose ist keine Ausrede für schlechte Kunst“

von Die Redaktion · 4. September 2007

„Er hat ja geglaubt an sich, von Anfang an, an sich und die Kunst“, sagt Susanne Kippenberger über ihren Bruder. Sie beschreibt die gemeinsame Kindheit im Ruhrgebiet: Das Elternhaus, wo Kunst und Kitsch gesammelt wurden und zahlreiche Künstlerfreunde der Eltern feierten. Die Autorin spricht über die Ähnlichkeit zwischen Vater und Sohn, die den Künstler zeitlebens prägte: das Hemmungslose und Exzessive, die Lust an Selbstdarstellung und Inszenierung.

Ihr Buch möchte sie nicht als letztgültige Erklärung verstanden wissen. Es gehe weder um „lückenlose Intimität“ noch um „kunsthistorische Einordnung und Interpretation“, erläutert die Autorin. Vielmehr hat sie zahlreiche Gespräche mit Freunden und Weggefährten ihres Bruders geführt. Aus diesen Erinnerungen und aus Selbstzeugnissen des Künstlers setzt Susanne Kippenberger das Porträt ihres Bruders zusammen.



„Ich lehne alles ab und suche was Anständiges“


„Er war ein Süchtiger. Süchtig nach Drogen zuerst, später nach Alkohol, süchtig nach Anerkennung und Aufmerksamkeit, nach Liebe, Fernsehen und Nudelauflauf. Ein Sehnsüchtiger“, schreibt Susanne Kippenberger. Sie zeichnet das rastlose Leben Ihres Bruders nach: die ständigen Ortswechsel, seine Arbeitswut und die Suche nach einer Familie. Sucht bedeute nichts anderes als suchen, erklärte Martin Kippenberger: „Ich lehne alles ab und suche was Anständiges“.

Kunst sei alles was einen bewegt, erklärte der Künstler. Und ihn bewegte viel. Und wenn die Ideen von jemand anderem kamen – egal ob von Picasso oder von seiner Tochter – dann verleibte er sie sich ein. Er arbeitete damit und machte einen Kippenberger daraus. „Jeder Mensch ist ein Künstler“, meinte Joseph Beuys. „Jeder Künstler ist ein Mensch“, heißt es bei Martin Kippenberger.

„Im Nehmen war er so großzügig wie im Geben, und immer hat er von anderen verlangt, was er selber gegeben hat: Alles. Und das sofort“, schreibt seine Schwester.



„Kippenberger böse!“


Martin Kippenberger hat die Extreme gesucht und die Grenzen des guten Geschmacks oft überschritten. Er hielt den Menschen den Spiegel vor, schrie ihnen die Wahrheit ins Gesicht, auch wenn es wehtat. Die Menschen bräuchten schließlich Feindbilder, erklärte er in einem Interview, „also bin ich ein Feindbild ... Also ‚Kippenberger böse!’“.

Er liebte die Kunst, aber sie musste wehtun, „das Leben tut’s ja auch“, zitiert Susanne Kippenberger ihren Bruder. Mit den Mitteln von Übertreibung und Verfremdung lief er Sturm gegen jede Form von Verlogenheit. Die Menschen sollten vor seiner Kunst nicht ehrfürchtig erstarren, sondern sich damit auseinandersetzen.

Erst nach seinem Tod begann die ernsthafte Rezeption seines Werkes. Zu stark hat Kippenberger zu Lebzeiten polarisiert. Nun verdecke das Bild des „lustigen Unterhalters“ nicht länger den Künstler, der sich, so die Autorin, „zu Tode gearbeitet hat, um dieses Bild und sein Werk zu schaffen“. Und er hat geahnt, was ihm nach seinem Tod drohe: die „posthume Heiligsprechung“ – und mit ihr die Verharmlosung.

Kippenberger hätte den Ruhm, das Geld und die Anerkennung gebraucht – zu Lebzeiten. Ablehnung wirkte wie ein Dynamo auf ihn. „Für jede Ausstellung, zu der er nicht eingeladen wurde, hat er mindestens fünf eigene initiiert“, schreibt Susanne Kippenberger. So provozierte er die eigene Ausgrenzung. Zurückweisung und Hass konnte er ertragen, nur mit Gleichgültigkeit konnte er nicht umgehen.



„Heimweh Highway“


Martin Kippenberger war eingebettet in ein Netzwerk von Freunden, Verwandten und Weggefährten. Als „Hordenmensch“ bezeichnete er sich selbst. Er war Mittelpunkt und „Pate“ des Clans. Nur die eigene Kleinfamilie, die Kippenberger sich so sehr gewünscht hatte, scheiterte bald nach der Geburt der seiner Tochter Helena. „Heimweh und Highway, das ließ sich nicht versöhnen“, erklärt die Autorin, „es war die größte Niederlage seines Lebens.“

Erst kurz vor seinem Tod heiratete Martin Kippenberger zum ersten Mal. Mit der Fotografin Elfie Semotan, wurde er „ruhiger, da hat er sich sicher gefühlt“, sagt die Athener Galeristin Eleni Koroneou. Ein Jahr nach der Hochzeit war Martin Kippenberger tot: Hepatitis, Zirrhose, Leberkrebs. Er starb nur sechs Wochen nach der Diagnose.

Auf fast 600 Seiten vermittelt Susanne Kippenberger ein eindrucksvolles Bild der schillernden, zerrissenen Künstlerpersönlichkeit ihres Bruders. Einige Wiederholungen im Text stören wenig. Nicht zuletzt geht es der Autorin auch darum zu erinnern: An eine Zeit als jene, die heute Hunderttausende Dollar für Kippenbergers Kunst ausgeben, sie vehement ablehnten.

Birgit Güll

Susanne Kippenberger: „Martin Kippenberger. Der Künstler und seine Familien“ Berlin Verlag, 2007, 575 Seiten, 22 Euro, ISBN 978-3-8270-0704-9

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