âEr hat ja geglaubt an sich, von Anfang an, an sich und die Kunstâ, sagt Susanne Kippenberger über ihren Bruder. Sie beschreibt die gemeinsame Kindheit im Ruhrgebiet: Das Elternhaus, wo
Kunst und Kitsch gesammelt wurden und zahlreiche Künstlerfreunde der Eltern feierten. Die Autorin spricht über die Ãhnlichkeit zwischen Vater und Sohn, die den Künstler zeitlebens prägte: das
Hemmungslose und Exzessive, die Lust an Selbstdarstellung und Inszenierung.
Ihr Buch möchte sie nicht als letztgültige Erklärung verstanden wissen. Es gehe weder um âlückenlose Intimitätâ noch um âkunsthistorische Einordnung und Interpretationâ,
erläutert die Autorin. Vielmehr hat sie zahlreiche Gespräche mit Freunden und Weggefährten ihres Bruders geführt. Aus diesen Erinnerungen und aus Selbstzeugnissen des Künstlers setzt Susanne
Kippenberger das Porträt ihres Bruders zusammen.
âIch lehne alles ab und suche was Anständigesâ
âEr war ein Süchtiger. Süchtig nach Drogen zuerst, später nach Alkohol, süchtig nach Anerkennung und Aufmerksamkeit, nach Liebe, Fernsehen und Nudelauflauf. Ein Sehnsüchtigerâ,
schreibt Susanne Kippenberger. Sie zeichnet das rastlose Leben Ihres Bruders nach: die ständigen Ortswechsel, seine Arbeitswut und die Suche nach einer Familie. Sucht bedeute nichts anderes als
suchen, erklärte Martin Kippenberger: âIch lehne alles ab und suche was Anständigesâ.
Kunst sei alles was einen bewegt, erklärte der Künstler. Und ihn bewegte viel. Und wenn die Ideen von jemand anderem kamen â egal ob von Picasso oder von seiner Tochter â dann verleibte
er sie sich ein. Er arbeitete damit und machte einen Kippenberger daraus. âJeder Mensch ist ein Künstlerâ, meinte Joseph Beuys. âJeder Künstler ist ein Menschâ, heiÃt es bei Martin
Kippenberger.
âIm Nehmen war er so groÃzügig wie im Geben, und immer hat er von anderen verlangt, was er selber gegeben hat: Alles. Und das sofortâ, schreibt seine Schwester.
âKippenberger böse!â
Martin Kippenberger hat die Extreme gesucht und die Grenzen des guten Geschmacks oft überschritten. Er hielt den Menschen den Spiegel vor, schrie ihnen die Wahrheit ins Gesicht, auch wenn es
wehtat. Die Menschen bräuchten schlieÃlich Feindbilder, erklärte er in einem Interview, âalso bin ich ein Feindbild ... Also âKippenberger böse!ââ.
Er liebte die Kunst, aber sie musste wehtun, âdas Leben tutâs ja auchâ, zitiert Susanne Kippenberger ihren Bruder. Mit den Mitteln von Ãbertreibung und Verfremdung lief er Sturm gegen
jede Form von Verlogenheit. Die Menschen sollten vor seiner Kunst nicht ehrfürchtig erstarren, sondern sich damit auseinandersetzen.
Erst nach seinem Tod begann die ernsthafte Rezeption seines Werkes. Zu stark hat Kippenberger zu Lebzeiten polarisiert. Nun verdecke das Bild des âlustigen Unterhaltersâ nicht länger den
Künstler, der sich, so die Autorin, âzu Tode gearbeitet hat, um dieses Bild und sein Werk zu schaffenâ. Und er hat geahnt, was ihm nach seinem Tod drohe: die âposthume Heiligsprechungâ â
und mit ihr die Verharmlosung.
Kippenberger hätte den Ruhm, das Geld und die Anerkennung gebraucht â zu Lebzeiten. Ablehnung wirkte wie ein Dynamo auf ihn. âFür jede Ausstellung, zu der er nicht eingeladen wurde, hat
er mindestens fünf eigene initiiertâ, schreibt Susanne Kippenberger. So provozierte er die eigene Ausgrenzung. Zurückweisung und Hass konnte er ertragen, nur mit Gleichgültigkeit konnte er
nicht umgehen.
âHeimweh Highwayâ
Martin Kippenberger war eingebettet in ein Netzwerk von Freunden, Verwandten und Weggefährten. Als âHordenmenschâ bezeichnete er sich selbst. Er war Mittelpunkt und âPateâ des Clans.
Nur die eigene Kleinfamilie, die Kippenberger sich so sehr gewünscht hatte, scheiterte bald nach der Geburt der seiner Tochter Helena. âHeimweh und Highway, das lieà sich nicht versöhnenâ,
erklärt die Autorin, âes war die gröÃte Niederlage seines Lebens.â
Erst kurz vor seinem Tod heiratete Martin Kippenberger zum ersten Mal. Mit der Fotografin Elfie Semotan, wurde er âruhiger, da hat er sich sicher gefühltâ, sagt die Athener Galeristin
Eleni Koroneou. Ein Jahr nach der Hochzeit war Martin Kippenberger tot: Hepatitis, Zirrhose, Leberkrebs. Er starb nur sechs Wochen nach der Diagnose.
Auf fast 600 Seiten vermittelt Susanne Kippenberger ein eindrucksvolles Bild der schillernden, zerrissenen Künstlerpersönlichkeit ihres Bruders. Einige Wiederholungen im Text stören wenig.
Nicht zuletzt geht es der Autorin auch darum zu erinnern: An eine Zeit als jene, die heute Hunderttausende Dollar für Kippenbergers Kunst ausgeben, sie vehement ablehnten.
Birgit Güll
Susanne Kippenberger: âMartin Kippenberger. Der Künstler und seine Familienâ Berlin Verlag, 2007, 575 Seiten, 22 Euro, ISBN 978-3-8270-0704-9
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