Acht Künstlerinnen, acht Wegbereiterinnen der Moderne. Sie stehen im Zentrum der Ausstellung "Die andere Seite des Mondes". An deren Anfang stand eine Frage: Wie kam es zum Verschwinden der weiblichen Moderne aus dem Kanon der Kunst?
Die großen Sammlungen der klassischen Avantgarde sind dominiert von männlichen Künstlern. Namen wie Pablo Picasso oder George Grosz sind Publikumsmagneten, schon deshalb werden ihre Werke gerne und regelmäßig gezeigt. Künstlerinnen, die den Aufbruch der 1920er und 30er Jahre wesentlich mitprägten, sind dagegen in Vergessenheit geraten.
Die Kunstsammlung Nordrhein Westfalen will mit ihrer Schau die weibliche Moderne sichtbar machen, will einen Blick auf "Die andere Seite des Mondes" wagen. Das Verborgene zu beleuchten hieß für die Sammlung, zunächst über den eigenen Bestand und vor allem über dessen Lücken nachzudenken: Keines der 240 Exponate, die derzeit in Düsseldorf zu sehen sind, ist Teil der hauseigenen Sammlung.
Ein weit verzweigtes Kunst-Netzwerk
Sonia Delaunay, Hannah Höch, Sophie Taeuber-Arp, Dora Maar, Germaine Dulac, Katarzyna Kobro, Claude Cahun und Florence Henri - acht Pionierinnen hat die Schau ausgewählt. Die Bandbreite der präsentierten Stilrichtungen reicht vom Konstruktivismus über den Dadaismus bin hin zum Surrealismus. Unterschiedlich sind nicht nur die Spielformen der Avantgarde. Auch die künstlerischen Mittel sind breit gefächert: Malerei, Film, Fotografie, Collage, Skulptur. Auf vielfältige Weise haben die Frauen ästhetische Neuerungen vorangetrieben.
Kuratorin Susanne Meyer-Büser hat sich wohl deshalb dafür entschieden, jeder Künstlerin einen eigenen Bereich in der Ausstellung zu widmen. So werden die Entwicklungen innerhalb eines Werkes sichtbar. Gleichzeitig eröffnen die großzügigen Räume Blickachsen auf die Kunst der anderen. Zusammenhänge werden deutlich, gegenseitige Beeinflussungen, die kein Zufall sind: Die acht Frauen - das war eines der Kriterien für die Auswahl - waren miteinander bekannt, manche enger, andere flüchtig oder nur indirekt. Doch sie alle waren Teil eines weit verzweigten Kunst-Netzwerkes.
Neue Möglichkeiten für Frauen
Die Zwischenkriegszeit eröffnete Frauen neue Möglichkeiten. Erstmals hatten sie in weiten Teilen Europas das Wahlrecht errungen. Der Erste Weltkrieg und die Abwesenheit der Männer hatte die Berufstätigkeit der Frau zur Normalität gemacht. Künstlerinnen, denen zuvor nur Kunstgewerbeschulen offen standen, konnten an Akademien studieren. Ein Zeitraum, geprägt von politischen Umbrüchen und wirtschaftlichen Turbulenzen, in dem für kurze Zeit alles möglich schien. Mit dem gesellschaftlichen Wandel ging ein künstlerischer Aufbruch einher, an dem Frauen wesentlichen Anteil hatten. Sie, die lange Zeit nur an den Rändern des Kunstbetriebes standen, gelangten über ihre Netzwerke und die neu gewonnene Mobilität ins Zentrum der Avantgarde.
Es entstanden wegweisende Arbeiten wie Germaine Dulacs "La coquille et le clergyman" ("Die Muschel und der Geistliche"), der erste surrealistische Film, der Traumwelten und das Unbewusste mit kinematographischen Mitteln sichtbar macht. Dulacs Arbeit entstand 1928 - ein Jahr vor "Un chien andalou" ("Ein andalusischer Hund"), der ungleich bekannteren Gemeinschafsproduktion von Luis Buñuel und Salvador Dalí, die so häufig als erster surrealistischer Film bezeichnet wird. Dulacs filmisches Juwel ist Teil der Schau und des umfangreichen Begleitprogramms.
Aufbruchstimmung und Experimentierfreude
Eine Entdeckung ist auch das radikale Werk von Claude Cahun. Die Künstlerin präsentiert sich in ihren fotografischen Selbstbildnissen als geschlechtsloses Wesen. Geschminkt oder maskiert stellt sie Rollenbilder in Frage, arbeitet sich an der eigenen, weiblichen Identität ab. Die Frage nach der individuellen Position ist zentral für die Künstlerinnen. Ihre Stellung ist keineswegs gefestigt, die Wege in die etablierten, von Männern dominierten Kunstzirkel sind vielfältig und oft schwierig.
Doch es gibt eine Aufbruchsstimmung. Hannah Höch, die einzige Frau im Kreis der Berliner Dadaisten, macht diese in ihrer Fotomontage "Siebenmeilenstiefel" sichtbar. Beine in Schnürstiefeln, ohne Oberkörper, sind gerade dabei, einen riesigen Satz zu machen. Zwischen den Beinen, an Stelle des Geschlechts, ein Schneckenhaus: Die Befreiung von Geschlechterrollen, Energie, Mobilität - all das symbolisiert die Fotomontage von 1934.
Die Werke der acht Frauen sind geprägt von großer Experimentierfreude. Medien werden gewechselt - Sonia Delaunay entwickelte ihre von Farbexperimenten geprägte Malerei im Bereich des Modedesigns weiter. Sie entwarf begehrte Stoffe für ein Amsterdamer Luxuskaufhaus. Ihre Freundin, die Schweizer Künstlerin Sophie Taeuber-Arp übertrug ihre Arbeit von der Leinwand auf die Gestaltung von Innenräumen.
Dialog über Grenzen hinaus
Bei aller Unterschiedlichkeit, die Werke der Frauen stehen im Dialog miteinander - über Ländergrenzen hinweg. Exemplarisch für die Öffnung zur russischen Avantgarde, die in der Schau reichlich kurz kommt, steht die nahezu unbekannte Katarzyna Kobro.
In den 20ern waren die Arbeiten der Bildhauerin wegweisend für den Konstruktivismus. Skulpturen, deren Formen nichts Gegenständliches mehr erkennen lassen. Betrachtet man in der Schau ihre "Raum-Skulptur" (1928) und hebt den Kopf, blickt man auf Taeuber-Arps Holz-Relief "Coquilles et fleurs" ("Muscheln und Blumen"): Abstrakte Formen, die mit den titelgebenden Objekten kaum noch etwas zu tun haben. Wie Kobros Arbeiten haben sie sich von den Gegenständen befreit.
Parallelen wie diese macht die Ausstellung sichtbar. Ähnliche Fragestellungen, wiederkehrende Motive wie Muscheln, Masken oder Spiegel, vor allem aber ästhetische Neuerungen, ohne die die moderne Kunst nicht denkbar ist, holt sie ins Licht. Den gesellschaftlichen Aufbruch haben der Zweite Weltkrieg und die Shoah auf einen Nullpunkt zurückgeworfen. Fast 70 Jahre später haben sich die Machtverhältnisse - nicht nur im Kulturbetrieb - nicht genug verändert.
Goetz Schleser
ist Redakteurin, die für den „vorwärts“ über Kultur berichtet.