Kultur

Kunst unter postkommunistischen Bedingungen

von Romy Hoffmann · 7. März 2012

Die russische Präsidentschaftswahl am 4. März hat es erneut bestätigt: Demokratie und Meinungsfreiheit zählen in Russland noch zu Fremdwörter. Politisch Andersdenkende werden dort nicht geduldet. Doch wie können russische Künstler unter diesen Bedingungen arbeiten? Mit dieser Frage beschäftigten sich anlässlich der Buchpremiere von „Zeitgenössische Künstler aus Russland“ drei Fachleute in Berlin.

„Es ging um Authentizität, die Künstler sollten keine Rollen spielen“, erklärt Herausgeber Wolf Iro Anfang März bei der Buchvorstellung das Kriterium, wonach Künstler für das Buch ausgewählt worden sind. Mit Authentizität meint Iro die künstlerische Freiheit und politische Unabhängigkeit der Künstler, sie sollten eine gewisse Distanz zur Politik bewahren.

Die Menschen zensieren sich gegenseitig

Derartige Künstler zu finden sei aber nicht ganz einfach gewesen, denn obwohl Russland keine staatliche Zensur kennt, würden bis heute Künstler beispielsweise wegen Blasphemie angeklagt, sagt Leonid Bazhanow, ebenfalls Herausgeber und fügt hinzu, dass sich gerade deswegen viele Künstler in eine bestimmte politische Ecke drängen ließen. Aus diesen Gründen spiele in Russland die Selbstzensur und der vorauseilende Gehorsam eine sehr wichtige Rolle, beschreibt Iro. Die Künstler seien verängstigt die eigene Meinung frei zu äußern, sie kontrollierten sich gegenseitig. Das hemme natürlich die Entfaltung der Kunst, stellt Bazhanow fest. Auch allgegenwärtige Tabus, wie antireligiöse Hetze und die Würdigung des Faschismus, tragen hierzu bei.

Im Vergleich zur ehemaligen Sowjetunion hat sich die Situation der Künstler stark verbessert. Während die Kunst vor dem Zerfall der Sowjetunion praktisch nicht existierte, da sie weder beachtet wurde noch profitabel war, entstand in Russland nach 1990 erstmals ein Kunstmarkt. Plötzlich mussten sich Künstler mit Bewunderern und Kritikern ihrer Werke auseinandersetzen. Außerdem habe sich auch die künstlerische Freiheit deutlich gebessert, meint der russische Konzeptkünstler Juri Albert. „Früher reichte es aus, ein abstraktes Bild zu zeichnen, um als politischer Künstler abgestempelt zu werden. Heute muss man schon ein umgeworfenes Polizeiauto darstellen.“

Entfaltung der Kunst ist noch lange nicht abgeschlossen

So erfreulich die künstlerischen Entwicklungen sind, der russische Kunstmarkt beschränkt sich bis heute auf nur wenig dutzende Kunstgalerien. Das Interesse an Kunst hänge in Russland sehr stark von der Bildung und dem persönlichen Interesse ab, berichtet Albert. Da Bildung aber immer noch in starker Verbindung mit finanziellem Wohlstand steht, könne man davon sprechen, dass sich vor allem Wohlhabende für Kunst interessieren, fügt Bazhanow hinzu. Verstärkt wird diese Entwicklung durch die staatlichen Investitionen in „tote Infrastruktur“, wie Iro es nennt und setzt hinzu, dass es in Russland wichtiger sei Kunstgebäude teuer zu sanieren und sie somit zur Schau stellen zu können, als Geld in die Ausbildung von Künstlern zu stecken.

Es scheint, dass Russland noch nicht verstanden hat, wie wichtig unabhängige Kunst für die Entwicklung der Demokratie ist. Jedenfalls steht spätestens seit den Protesten gegen den Präsidentschaftskandidaten Wladimir Putin im Dezember letzten Jahres fest: Die Menschen können sich durchaus die Freiheit nehmen ihre Meinung zu äußern.

Leonid Bazhanow, Wolf Iro (Hrsg.), Zeitgenössische Künstler aus Russland, Steidl Verlag, Göttingen 2011, 354 Seiten, 20,00 Euro, ISBN: 978-3-86930-373-4

Autor*in
Romy Hoffmann

Romy Hoffmann ist Studentin der Politikwissenschaft und Philosophie an der Universität Regensburg. Im Frühjahr 2012 absolvierte sie ein Praktikum in der Redaktion des vorwärts.

0 Kommentare
Noch keine Kommentare