Kultur

„Kreativität ist nicht verboten“

von Die Redaktion · 22. April 2008
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"Kunst war out", beschrieb der Künstler Jochen Gerz die Stimmung im Jahr 1968. "Die bürgerliche Beschäftigung Kunst zu machen, war nicht mehr erwünscht", ergänzte Akademiepräsident Klaus Staeck. Vielmehr ging es um eine Demokratisierung. Kunst sollte öffentlich werden, auf die Straße gehen und jedermann teilhaben lassen.

Sandkörner

Die Künstler lehnten sich auf gegen ein erstarrtes System. Sie wollten "ein Sandkorn ins Getriebe streuen", wie Klaus Staeck formulierte. Freiräume sollten geschaffen und "die Realität vergrößert" werden, so Jochen Gerz. Schließlich sei es Aufgabe der Kunst, ein Skript für die Gesellschaft zu schreiben. - Und die 68er wollten diese selbst zum Autor machen.

Als im Westen die Studenten für ihre Freiheit auf die Straße gingen, erlebte der Osten, wie der Prager Frühling niedergeschlagen wurde. Ein wenig "Wut auf die Weststudenten" empfand die Liedermacherin Bettina Wegner in Ostberlin schon, denn während sie das Geschehen im Westen gespannt verfolgte, schien es umgekehrt kein Interesse zu geben. Dennoch: Später konnte man auch im Osten Dinge durchsetzen, "die ohne `68 nicht möglich gewesen wären", ist Wegner überzeugt.



Zuschauerdemokratie


"Die Essenz der 68er ist wichtig", erklärte der Filmemacher Andreas Veiel. Eine Verklärung der gesamten Bewegung sei dagegen fehl am Platz. Allerdings strebte keiner der Diskussionsteilnehmer in der Akademie eine "Nostalgieveranstaltung" an, wie Klaus Staeck formulierte. Vielmehr richteten sie den Blick - kritisch - in die Zukunft.

Viel habe sich seit 1968 verändert, konstatierte Jochen Gerz. "Wir sind relativ frei", erklärte er, "aber alles was wir zustande bringen sind Retrospektiven". Als "zorniger Alter" bezeichnete sich Klaus Staeck und bedauerte, dass wir heute in einer Zuschauerdemokratie angekommen seien. Die errungenen Freiheiten würden nicht ausreichend verteidigt.

Spürhund?

Ist die Kunst noch ein Spürhund der Gesellschaft, oder ist sie bereits völlig in das Konsumsystem eingeklinkt, fragte der Akademiepräsident. Er ist überzeugt, dass das System erstarrt ist. Darin liege jedoch die Chance, die Gesellschaft umzubauen. - Das müsse allerdings jemand tun. Die "Für mich reicht es noch"-Mentalität sei in jedem Fall der falsche Weg. Diese Gelegenheit sieht auch Jochen Gerz: "Das Programm der `68er ist aufgebraucht, nicht aber die Fähigkeit, ein Neues zu schaffen".

"Kreativität ist nicht verboten", unterstrich er. Wir haben die Möglichkeit etwas zu tun - diese Chance sollte nicht auf der Zuschauerbank vergeudet werden. "Schaffender und Schauender müssen identisch sein", erläuterte Gerz. Schließlich sehe er nicht ein, warum gerade Kunst die letzte Diktatur sein solle.

Der "Werkzeugkasten der `68er", wie Andreas Veiel formulierte, ist erhalten geblieben.

Es ist an der Zeit, ihn zu nutzen. Die Kunst ist ein gesellschaftspolitisches Instrument. - Allerdings nur jene, der es nicht darum geht, lediglich einen Markt zu bedienen, der sie als reines gewinnbringendes Spekulations- oder Prestigeobjekt missbraucht.



Birgit Güll

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