Kultur

Kranke Verhältnisse

von ohne Autor · 1. April 2011
placeholder

Jeden halbwegs idealistischen Mediziner muss diese Prozedur frustrieren. Seit Jahren kleidet der Berliner Arzt Dr. Gerhard Schmuckler (Dieter Mann) seine Patienten in Zahlen. Es sind Zahlen, die das, was Menschen brauchen, oft kaum abdecken. Zum Beispiel acht Minuten pro Behandlung und 65 Euro für Medikamente in einem Quartal: Zu wenig für den an einem unheilbaren Darmleiden erkrankten Rentner oder die Mukoviszidose-Patientin im Grundschulalter. An den Quartalsabrechnungen vorbei versorgt Schmuckler sie und andere mit teurer Medizin, die keine Kasse bezahlt. Als der Darmkranke an einem irrtümlichen Medikamentencocktail stirbt, kommt der Betrug nach und nach ans Licht. Und ein weiteres tödliches Drama nimmt seinen Lauf.

Für Spielfilmmacher grenzt das kriselnde Gesundheitssystem an eine Krux. Auf der einen Seite sollen sie anhand menschlicher Schicksale eine unübersichtliche Gemengelage durchleuchten, mit der sogar manch (selbsternannte) Experten überfordert sind. Anderseits lautet das Credo, man dürfe die Zuschauer während 90 Minuten zur besten Sendezeit nicht überfordern. Groß muss die Versuchung sein, zu polarisieren, anstatt sich um eine Balance zwischen inhaltlichem Tiefgang und Emotion zu bemühen.

So gesehen ist der 796. "Tatort" gelungen. Regie (Florian Froschmayer) und Drehbuch (Dinah Marte Golch und Gerhard J. Rekel) stellen die inneren Widersprüche der Ärzte und die Schicksale von Kranken in den Mittelpunkt, um die Folgen von explodierenden Kosten und knappen Budgets zu beschreiben, die schlichtweg als Unterversorgung durchgehen. Zu kurz kommt allerdings der Einfluss der Pharmalobby. Schließlich drehen gerade die hierzulande einmalig hohen Medikamentenpreise kräftig an der Kostenschraube des Systems. Angenehm fällt auf, dass auf den "Krieg der Generationen" als dramaturgische Würze verzichtet wird - ganz im Gegensatz zu den Doku-Dramen "Aufstand der Alten" und "Aufstand der Jungen", die vor einiger Zeit im ZDF liefen. Viel mehr wird klar, dass jede Generation auf ihre Weise betroffen ist.

Das heißt: Einen Generationenkonflikt gibt es in diesem "Tatort" durchaus. Denn Dr. Thomas Schmuckler (Thomas Scharff) versucht, seinen Vater aus der gemeinsamen Praxis zu verdrängen, um die Bilanz wieder ins Reine zu bringen.

Doch so leicht gibt der knorrige Senior nicht nach. Stattdessen demütigt er seinen Sohn, wo er kann. Menschen, die Gutes tun, müssen nicht automatisch gute Menschen sein. Dieses simple, aber essenzielle Merkmal steht für das subtile Spiel mit zwiespältigen und gebrochenen Figuren, von dem dieser Krimi lebt. Dass sich das Wesen der Protagonisten in Ruhe entfalten kann, liegt auch am Setting, das über weite Strecken eine kammerspielartige Situation schafft. Die alteingesessene Hausarztpraxis und das Café gegenüber erscheinen wie Rückzugsorte im garstigen Berliner Spätherbst. In sparsamen Gehsteig-Szenen ist das Thema "Krank sein" nahezu physisch erfahrbar. Gleichsam zeigt sich immer deutlicher, wie sehr die Eindrücke von Sicherheit oder das Kiezidyll trügen.

Weniger Überraschungen bietet das Ermittlerteam. Man fragt sich, was passieren muss, um Kriminalhauptkommissar Till Ritter (Dominic Raacke) das Flirten und seinem Kollegen Felix Stark (Boris Aljinovic) die eingebildeten väterlichen Sorgen auszutreiben. Doch gerade wegen ihres vorhersehbaren Wesens ist das Duo so etwas wie ein Orientierungspunkt im Dickicht aus kaputten Familien und gefälschten Abrechnungen. Allerdings wirken auch die Kriminalisten zunächst recht orientierungslos. Nicht nur wegen der verzwickten Krankenkassen-Materie, sondern vor allem, weil sie sich mit moralischen und zwischenmenschlichen Grenzfragen auseinander setzen müssen. Fast schon sympathisch, dieser Mangel an Routine!

Angesichts all des psychologischen Ballasts verwundert es kaum, wenn sich zähflüssige Momente einstellen. Was auch daran liegt, dass etwa das Zerwürfnis in der Familie Schmuckler als unauflösbar inzeniert wird und sich zermürbende Streitereien wiederholen. Doch keine noch so dynamische Erzählweise kann darüber hinwegtäuschen, dass einen das Leben manchmal krank macht.


Sendetermin: Sonntag, 3. April, 20.15 Uhr (ARD) Mehr Informationen unter www.daserste.de/tatort/ oder www.rbb-online.de/tatort/beitraege/edel_sei_der_mensch.html

0 Kommentare
Noch keine Kommentare