Wie findet ein Film die richtige Sprache für ein Thema, das oft sprachlos macht? Das Missbrauchsdrama „Einfach die Wahrheit“ ist eine einzige Anklage, wenn auch auf die leise Tour.
Schätzungsweise 250 000-mal im Jahr wird in Deutschland ein Kind missbraucht. Die meisten Fälle passieren innerhalb der eigenen Familie und kommen erst nach Jahren zur Anzeige. Ungezählte andere bleiben für immer im Verborgenen. So zieht sich eine Mauer des Schweigens um die tiefe Verletzung einer Seele.
Dieses Schweigen will das ARD-Drama „Einfach die Wahrheit“ brechen. Es erzählt davon, wie steinig und vermint die Suche von Gerichten nach der Wahrheit sein kann, wenn ein Missbrauchsvorwurf im Raum steht und die Anklage allein auf der Aussage des Kindes ruht. Erst recht dann, wenn die Familie als solche längst zerbrochen ist und der wichtigsten Ermittlerin die gebotene emotionale Distanz zum Opfer abhanden kommt.
Sich zur besten Sendezeit an diese Materie zu wagen und sich zugleich um eine unverbrauchte Erzählweise zu bemühen, kann in quotenhörigen Zeiten auch im öffentlich-rechtlichen Fernsehen als Mut der ARD-Verantwortlichen ausgelegt werden. Schließlich gehört sexuelle Gewalt zu den polarisiendsten Erzählstoffen überhaupt. Und das nicht erst, seitdem reale Vorfälle aus kirchlichen und staatlichen Internaten selbst immer wieder traurige, aber auch schier unglaubliche Schicksale zutage fördern. Die Öffentlichkeit ist also reichlich sensibilisiert.
Kampfansage an Gutachter
Umso behutsamer, so der Anspruch von Regie und Produktion, will „Einfach die Wahrheit“ von all dem erzählen. Die ARD spricht von einer Mischung aus Psychothriller und Familienfillm – eine Umschreibung, die wiederum mehr nach einer unheilvollen Gratwanderung als nach einem wirklichen Experiment klingt. Die eigentliche Botschaft dieses Films ist hingegen klar offensiv ausgerichtet: Es ist eine Kampfansage an scheinbar allmächtige und bezahlte psychologische Gutachten, die Kinderschänder vor dem Knast schützen und damit die Opfer weiterhin den Tätern ausliefern.
Staatsanwältin Charlotte Reinke (Katja Flint), eben gerade von der Wirtschaftskriminalität zur Sitte gewechselt, hat es mit einem vertrackten Fall zu tun. In der Vorvernehmung beschuldigt die achtjährige Laura (Paula Hartmann) ihren Vater (Heiner Lauterbach), sie missbraucht zu haben. Doch in der Hauptverhandlung widerruft sie ihre Aussage. Plötzlich steht nicht mehr der Angeklagte Roman Giesecke am Pranger, sondern dessen Ex-Frau und Mutter der gemeinsamen Tochter. Nun geht es nur noch um die Frage, ob Brigitte Giesecke (Ursina Lardi) Laura die Beschuldigungen eingetrichtert hat, um ihrem früheren Partner zu schaden. Schließlich kann sie die Trennung von Roman nicht verwinden und neidet ihm sein neues Glück. Zumal der smarte und höfliche Banker so gar nicht ins Täterschema zu passen scheint und obendrein durch ein Gutachten entlastet wird.
Kann so ein liebevoller Papa ein Triebtäter sein? Außerhalb des Gerichtssaals zeigt Laura keinerlei Berührungsängste. Als der Prozess vor dem Aus zu stehen scheint, kommt die Staatsanwältin ins Grübeln. Auch den Zuschauer beschleichen Zweifel. Doch plötzlich taucht ein neues Beweisstück auf und bringt die Sache wieder ins Rollen. Doch wird Laura ihren Vater erneut im Gerichtsaal belasten?
Elemente eines Psychothrillers sucht man in diesem Film vergeblich. Dafür wird das, was Laura durchgemacht hat und weiterhin durchmachen muss, plakativ bis betulich abgehandelt. Auch der Schlagabtausch vor Gericht entwickelt selten Fahrt. Damit hat sich eigentlich auch die Frage erledigt, ob die erwähnte Gratwanderung am Ende aufgeht.
Innerlich zerrissen
Wenn überhaupt atmosphärische Dichte entsteht, dann in jenen Momenten, wenn Charlotte ihr Inneres nach außen kehrt. Sie ist der eigentliche Mittelpunkt dieses Films. Je tiefer sich die Juristin in den Fall verbeißt, desto stärker wächst die Gewissheit, dass ihre Hartnäckigkeit, mit der sie auf eine Haftstrafe für Giesecke dringt, auch etwas mit ihrem Vorleben zu tun hat. Mit ihrer altbekannten Larmoyance findet Flint findet für die Zerrissenheit zwischen analytischer Schärfe und kämpferischer Empathie, die aus diesem Charakter spricht, genau den richtigen Ton.
So ist es am Ende ärgerlich, dass die Regiearbeit von Fernsehspiel-Urgestein Vivian Naefe – zuletzt machte sie mit dem Veronika-Ferres-Adoptionsdrama „Mein eigen Fleisch und Blut“ auf sich aufmerksam – gerade zu diesem Thema allenfalls Konfektionsware bietet.
Info: Einfach die Wahrheit (D 2013), Regie: Vivian Naefe, mit Katja Flint, Heiner Lauterbach, Ursina Lardi, Paula Hartmann, u.a., 90 Minuten.
Am Donnerstag, dem 28. März um 20.15 Uhr in der ARD.