Kultur

Knast-Geschichten im Gefängnis

von Dagmar Günther · 11. September 2007
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Unter Mühen führte der Autor und Mitorganisator des Festivals Martin Jankowski die Autorin Katja Lange-Müller durch den Diskussionsabend. Unter Mühen deshalb, weil sie prinzipiell widersprach. Auf seinen Kommentar hin, dass sich im Rahmen der Veranstaltungsreihe ein paar Autoren nun auch in die Haftanstalten verirrt" hätten, reagierte sie mit dem schnodderigen Satz aus dem Hintergrund: "Ich hab mich nicht verirrt!" Als er daraufhin meinte, nun gut es gäbe auch Autoren, die gern in die JVA kämen, erwiderte die Autorin, gern sei sie ja nun nicht gekommen, aber jetzt eben da. Solche spitzen Dialoge gab es den ganzen Abend lang, was von den Gefangenen belustigt kommentiert wurde.

Katja Lange-Müller las aus ihrem gerade erschienenen Buch "Böse Schafe". Darin lernt eine ziemlich naive Ostberlinerin, die Anfang der 1980er Jahre nach Westberlin ausreiste, einen "echten" Westberliner kennen. Soja, wie die Protagonistin heißt, verliebt sich in Harry, der nicht wie zahllose Bayern und Schwaben wegen des Wehrdienstes nach Berlin geflüchtet war. Allerdings verschweigt Harry ihr seine 10-jährige Haftstrafe, die er in der JVA Tegel abgesessen hat, seine schwere Drogenabhängigkeit, die ihn gegen die Bewährungsauflagen verstoßen lässt und schließlich seine HIV-Erkrankung, die zunehmend sein Leben zerstört. Nach Harry Tod findet Soja seine Notizen, bei deren Lektüre sie schmerzvoll bemerken muss, dass sie nicht ein einziges Mal erwähnt wird.

Das Aufeinanderprallen zweier deutscher Identitäten

15 Jahre nach Harrys Tod schreibt Soja ihm rückblickend einen symbolischen Brief. Sie versucht so, das Erlebte und ihre Gefühle zu verarbeiten. "Böse Schafe" ist nicht nur eine Auseinandersetzung mit schmerzhaften Themen. Hier prallen zwei Deutsche mit vollkommen verschiedener Prägung aufeinander. Soja, die mutig und engagiert für Harry eintritt, erkennt die Symptome von Harrys Drogensucht und Aids-Erkrankung genauso wenig wie die Ausweglosigkeit dieser Liebe.

In klaren, konkreten Worten und Sätzen entstehen Bilder eines vergangenen Lebensabschnitts, wird eine Phase der Westberliner Drogenszene lebendig.

Die Lesung in der JVA Tegel verlief unglaublich konzentriert. Nur gelegentlich wurde sie mit leisen Lachern kommentiert. Am Ende durften die Gefangenen Fragen zu stellen und diskutieren. Da ging es zur Sache, gab es keineswegs, wie bei Lesungen oft üblich, betretenes Schweigen mit ein oder zwei schüchternen Fragen. Die Autorin wurde kritisiert bzw. dazu aufgefordert, Stellung zu beziehen und sich zu erklären.

Zum Beispiel zu ihrem Sprachverständnis und der Komposition ihrer Sätze. Antwort: Weil ich überlegt und präzise schreiben will. Oder zu autobiografischen Zügen ihres Romans. Hierzu berichtete sie bereitwillig aus ihrem Leben.



Vom Blumenverkauf zum Ingeborg- Bachmann-Preis


1984 sei sie aus Ost-Berlin in den westlichen Teil der Stadt ausgereist. Die Zeit der "Ankunft" sei nicht einfach gewesen. Mit Jobs als Blumenverkäuferin habe sie sich über Wasser gehalten. Doch gleich für ihr erstes Buch sei sie 1986 mit dem Ingeborg- Bachmann- Preis belohnt worden. Bereitwillig gibt sie zu, gern etwas mehr von ihrer Protagonistin haben zu wollen, diese sei mutiger als sie aber eben auch sehr viel naiver.

Spannend war die nachfolgende Diskussion über Drogenabhängigkeit und den zumeist tödlichen Karrieren von Junkies. Auch da erzählte Katja Lange

-Müller bereitwillig von privaten Erfahrungen. Wie etwa von der, dass einige ihrer ostdeutschen Freunde ihr gar nicht darauf gefasst waren, dass ihre Kinder nach dem Mauerfall vom Drogenmilieu bedroht sein könnten. Und so musste sie miterleben, wie zwei Jugendliche aus dem Bekanntenkreis in die Heroinszene abrutschten und den Ausstieg nicht mehr schafften. "Von den Junkies konnte man ganz gut den Kapitalismus aus der Kellerassel

- Perspektive lernen!" - diese trockene Bemerkung ist das Ergebnis auch ihres persönlichen Kontaktes mit Drogenabhängigen während ihrer Arbeit in der Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik in den 80er Jahren.

Die Gefangenen diskutierten auch nach der Lesung weiter. Sie freuten sich über die Zusage von Katja Lange-Müller, der Bibliothek 15 Exemplare des Buches zu stiften. Die Autorin hatte das Interesse an der "ganzen Geschichte" geweckt.

Diese Veranstaltung war nur eine von vielen, die in der JVA Tegel stattfinden. Die JVA Tegel hat einen eigenen "Literatur- Kreis", in welchem die Gefangenen Texte schreiben und Theaterstücke aufführen. Bei rechtzeitiger Anmeldung können die begehrten Karten ergattert werden. Mehr Informationen hierzu und zum gesamten Gefängnis findet man unter der Internet- Adresse:

mail www.planet-tegel.de/mail

Maxi Hönigschmid

Katja Lange Müller: Böse Schafe, Kiepenheuer und Witsch, Köln2007, 208 Seiten, 16,90 Euro, 208 Seiten, ISBN-13: 978-3462039146

Autor*in
Dagmar Günther

war bis Juni 2022 Chefin vom Dienst des vorwärts.

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