Kultur

„Khello Brüder“: Zwei Syrer finden zurück ins Leben

Ein Journalist und ein Maler wagen nach ihrer Flucht aus Syrien in Deutschland einen Neuanfang: Der Dokumentarfilm „Khello Brüder“ schildert die Langzeitfolgen eines mörderischen Konflikts, macht aber auch Hoffnung.
von ohne Autor · 8. November 2019
Endlich wieder zusammen: die „Khello Brüder“ Zakwan und Tarek in Leipzig.
Endlich wieder zusammen: die „Khello Brüder“ Zakwan und Tarek in Leipzig.

Nachdem er im Bombenhagel von Aleppo beinahe den Tod gefunden hatte, verlor Zakwan Khello das Gefühl für Farbe. Graue Schleier umgeben die Zeichnungen, in denen der Maler, der zuvor mit farbenfrohen Kontrasten gearbeitet hatte, die Trümmer seiner Heimatstadt verewigt hat. Die Häuser gleichen Tränen, die von einem großen Strom davongetragen werden. Dass der syrische Künstler diese Werke in Deutschland zeigen kann, grenzt an ein Wunder.

Als Kontingentflüchtling in Leipzig

Wie es dazu kam, schildert der Dokumentarfilm von Hille Norden. Zakwan Khello und sein Bruder Tarek flohen aus Syrien, um dem allgegenwärtigen Töten zu entgehen. 2013 muss Tarek das Land verlassen, weil er als Journalist in ständiger Lebensgefahr schwebt. Als Kontingentflüchtling kommt er mit seiner Frau und zwei Kindern nach Leipzig. Die Gefängnisaufenthalte in seinem Heimatland und in der Zwischenstation Libanon haben ihn tief gezeichnet. Zakwan landet drei Jahre später ebenfalls in der Bundesrepublik. Zu groß war der Druck geworden, sich der syrischen Armee anzuschließen. Doch zu töten kommt weder für Zakwan, der zuletzt als Dozent an einer Kunsthochschule arbeitete, noch für Tarek infrage. Nachdem Tarek einige Bilder seines Bruders verkaufen konnte, hat dieser endlich genug Geld für die abenteuerliche Flucht als „Illegaler“.

„Khello Brüder“ zeigt, wie diese beiden Männer um die 30 ihren Weg nach Deutschland fanden, welche Erfahrungen sie mitbrachten und wie sich entschlossen, hier ein neues Leben anzufangen. Nämlich, indem sie das taten, was sie auch vorher gemacht haben, also als Journalist beziehungsweise als Maler zu arbeiten. Es ist ein Weg, den sie voller Hoffnung beschreiten, ohne dabei zu vergessen, welch hohen Preis sie dafür zahlen mussten. Der Verlust der Heimat und die Gewissheit, den Rest der Familie dort zurückgelassen zu haben, setzt beiden zu.

Der Filmzuschauer wird nicht nur Zeuge erschütternder Schicksale. Zugleich räumt die zum Zeitpunkt des Drehs gerade einmal 18-jährige Regisseurin mit einigen Klischees über Geflüchtete auf, derer sich vor allem jene bedienen, denen an keiner sachlichen Debatte gelegen ist. Immer wieder war in den letzten Jahren zu hören, es würden Scharen junger Männer aus dem Bürgerkriegsland Syrien nach Europa strömen, weil sie nicht bereit seien, für ihr Land zu kämpfen oder weil sie ihre Heimat nicht liebten.

Ein Film, der die Sinne schärft

Doch wer sich auf die Erzählungen der Khello-Brüder einlässt, fragt sich: Wie hätte ich reagiert? Ist es nicht einfach nur menschlich, vor dem allgegenwärtigen Gemetzel zu fliehen, wenn man dadurch verhindert, selbst umgebracht oder gezwungen zu werden, dabei mitzumachen? Letztere ist eine Frage, die sich jedem halbwegs aufgeweckten Geist gar nicht erst stellt. Und doch kommt es heute umso mehr darauf an, sie zu beantworten. Der Film schärft dafür die Sinne. Auch dafür, wie wichtig es ist, Geflüchteten einen echten Neuanfang zu ermöglichen. Und dass es dabei nicht immer um Geld geht.

Dass Tarek und Zakwan auf Menschen trafen, die ihre Fähigkeiten erkannten und ihnen auch darüber hinaus Halt gaben, war ein bedeutendes Startkapital. So konnte Tarek nach einiger Zeit wieder als Journalist arbeiten, und zwar äußerst erfolgreich. Weil eine Kirchengemeinde in der südwestdeutschen Kleinstadt, wo er in einer Flüchtlingsunterkunft lebte, eine Ausstellung mit seinen ebenso düsteren wie dokumentarischen Zeichnungen auf die Beine stellte, fand Zakwan den Weg zurück in sein Künstlerleben. Am Ende fand er sogar eine Leipziger Gastfamilie. Gerade in heutigen Zeiten, wo die Zuwanderung von Geflüchteten in öffentlichen Debatten häufig einseitig als Dauerkrise und sozialer Sprengstoff dargestellt wird, kann man nicht häufig genug auf derlei Initiativen und deren positive Auswirkungen hinweisen.

Kein Happy End, aber ein Zeichen der Hoffnung

Und doch ist „Khello-Brüder“ keine Wohlfühl-Doku zum Thema Integration. Stets bleiben die Herausforderungen spürbar, die die Protagonisten in Deutschland gemeistert haben, derzeit meistern und noch zu meistern haben, seien es nur die Fremdheitserfahrungen. Auch wenn die Rückkehr nach Syrien verbaut ist, schmerzt der Verlust der Heimat. Mitzuerleben ist all das vor allem in langen, immer wieder auch überlangen Interviewpassagen, während der Off-Text meistens akribisch Fakten auflistet und sich dabei oft in Details verliert. Am berührendsten sind die Szenen mit Zakwan. Wenn er im epischen Duktus Zeugnis ablegt, wird die Wechselwirkung zwischen dem blutigen Horror unter Assad und seiner Kunst deutlich. Dass er eines Tages die Farben wiederentdeckt, ist kein Happy End, wohl aber ein Zeichen der Hoffnung.

„Khello Brüder“ (Deutschland 2018), ein Film von Hille Norden, mit Tarek Khello, Zakwan Khello u.a., 90 Minuten. Ab jetzt im Kino.

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