Kultur

Kein unproduktiver Kostgänger

von Die Redaktion · 16. November 2007

Das Urteil der SPD-Vize Andrea Nahles fällt positiv aus. Neben einer umfassenden Darstellung des sozial- und arbeitsmarktpolitischen Leistungssystems und Analysen der lebens- und Arbeitsverhältnisse der Bevölkerung in Deutschland, enthält das Werk eine Bilanz der Sozialpolitik in unserem Land. Dabei prüfen die Autoren das sozialstaatliche System in der Gesamtheit seiner Leistungen, Einrichtungen und Maßnahmen genau. Sie analysieren seine Stärken und Schwächen. "Der Dialog über den Sozialstaat erfährt hier eine Bündelung", so Nahles.

Eine Lanze für den Sozialstaat

Der Sozialstaat sei keineswegs ein Auslaufmodell, ein unproduktiver "Kostgänger". Vielmehr müsse man sehen, dass "die soziale Gestaltung von Wirtschaft und Gesellschaft nicht nur Voraussetzung ist für die politische Stabilität eines Landes, sondern auch für ökonomische Entwicklung".

Eine weitere These besagt, dass die Finanzierungskrise des Sozialstaates auf die Beschäftigungskrise in unserem Land zurück gehe. Kurz gesagt: hohe Arbeitslosigkeit und niedrigere Steuer- und Beitragseinnahmen führen zu höheren Sozialausgaben.

Die aktuellen Probleme - Massenarbeitslosigkeit, prekäre Beschäftigungsverhältnisse, Stagnation der Realeinkommen - erfordern dringend Lösungen. Folge der beschränkenden Politik des Ab- und Umbaus des Sozialstaates sei, dass sich die Lebensbedingungen der Bevölkerung gravierend verschlechtert haben. Das daraus resultierende Armutsrisiko beschränke sich dabei nicht mehr nur auf das untere Ende der Gesellschaft. Selbst die Mittelschicht sei betroffen, so die Autoren

Die solidarische Sicherung sollte deshalb erhalten und weiterentwickelt werden. Dazu muss das System stetig an den sozialen und wirtschaftlichen Wandel angepasst werden. Dass die nötige Flexibilität dafür vorhanden ist, zeige sich im internationalen Vergleich: Insgesamt verfüge das deutsche System über eine hohe Leistungs- und Anpassungsfähigkeit. Dies gelte gerade für die Sozialversicherung, die sich "mit ihren Elementen Lohn- und Beitragsorientierung, Lohnersatz und Leistungsdynamik, sozialer Ausgleich sowie paritätische Mittelaufbringung und Selbstverwaltung als gut geeignet erwiesen hat, die großen Lebensrisiken abzusichern".

Die Autoren brechen eine Lanze für den Sozialstaat. Gezeigt wird, dass Sozialpolitik mehr ist als nur soziale Sicherung. Dazu gehören auch Fragen der Einkommensverteilung, der beruflichen Bildung, der Arbeitsmarkt- und Familienpolitik. Eine klare Strukturierung der Themen und die Veranschaulichung statistischer Daten durch Tabellen ermöglichen eine vereinfachte, aber keine einfache, Darstellung der Sozialpolitik. "Einsteigern" wird eine verständliche Einführung geboten. Andererseits vermittelt das Werk aber auch eine differenzierte Analyse der Probleme und Entwicklungsperspektiven in den verschiedenen sozialpolitischen Bereichen. Trotzdem bleibt dem Leser genug Raum für eigene Überlegungen und Interpretationen. Besonders geeignet ist das Werk für Studierende der Soziologie und Politikwissenschaft und Interessierte, die sich einen Überblick über das Thema verschaffen möchten. Und natürlich für Politiker. Andrea Nahles hat die Bücher in zwei Wochen gelesen. Sie stimmt nicht in jedem Punkt mit den Autoren überein. Aber auch sie spricht sich ganz klar für den Erhalt des Sozialstaates aus.



Mamke Kühl


Bäcker, Gerhard/Neagele, Gerhard/Bispinck, Reinhard/Hofemann, Klaus/Neubauer, Jennifer: Sozialpolitik und soziale Lage in Deutschland. Band 1: Grundlagen Arbeit, Einkommen und Finanzierung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 4., grundlegend überarb. u. erw. Auflage 2008, 622 Seiten gebunden, € 34,90, ISBN: 978-3-531-33333-5

Bäcker, Gerhard/Neagele, Gerhard/Bispinck, Reinhard/Hofemann, Klaus/Neubauer, Jennifer: Sozialpolitik und soziale Lage in Deutschland. Band 2: Gesundheit, Familie, Alter und Soziale Dienste. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 4., grundlegend überarb. u. erw. Auflage 2008, 616 Seiten gebunden, € 34,90, ISBN: 978-3-531-33334-2

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