Zur kommenden Bundestagswahl tritt Wolfgang Thierse nicht mehr an. Doch zum Abschied sagt der Vizepräsident des Deutschen Bundestags nicht leise Servus. Der profilierte Kulturpolitiker diskutierte Freitagabend in Berlin lieber „Für eine neue Kulturpolitik!“.
Ein Einmischer wie Wolfgang Thierse wünscht sich keine Abschiedsfeier mit salbungsvollen Dankesworten. Lieber diskutiert er. So lud er 23 Tage vor der Bundestagswahl, zu der er nicht mehr antritt, in die Berliner Kulturbrauerei ein, um über die Kulturpolitik der Zukunft zu sprechen. Thierse, der frühere Präsident des Deutschen Bundestages und der Vorsitzende des Kulturforums der Sozialdemokratie hat jahrelang die kulturpolitischen Grundsätze der Sozialdemokratie mitgeprägt und vertreten.
Nach vier Jahren schwarz-gelber Bundesregierung ist einiges aus dem Lot geraten – auch in der Kulturpolitik. In einer von Wolfgang Thierse moderierten Podiumsdiskussion wurden die zentralen Probleme abgesteckt. Klaus Staeck, der Präsident der Akademie der Künste sieht aktuell „zwei scharfe Angriffe gegen unser Kulturverständnis“: das Freihandelsabkommen, dass die USA und die EU derzeit verhandeln und die Gefährdung der Künstlersozialkasse (KSK).
Die Künstlersozialkasse retten
Die vor 30 Jahren von der SPD eingeführte KSK öffnete Kulturschaffenden den Weg zur gesetzlichen Versicherung. Wovor Staeck nun warnt: Die schwarz-gelbe Bundesregierung hat die Überprüfung der Rentenversicherung, ob Unternehmen ihrer Künstlersozialabgabepflicht nachkommen aus dem Gesetz gestrichen. Geringere Einnahmen trocknen die KSK aus. Das wiederum fällt auf die Kulturschaffenden zurück, die im Schnitt mit 14.000 Euro Jahreseinkommen über die Runden kommen müssen und für die die KSK eine zentrale Absicherung darstellt.
Olaf Zimmermann, der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats unterstrich die Forderung nach einer Kontrolle der abgabepflichtigen Unternehmen. Gleichzeitig wies er darauf hin, dass immer mehr Kulturschaffende keine Verlage oder Plattenfirmen hätten. Die Finanzierungslücke der KSK könne letztlich nur geschlossen werden, wenn der Zuschuss des Bundes zur KSK erhöht werde.
Kultur ist mehr als eine Ware
Klaus Staeck blieb nicht der einzige, der an diesem Abend das Freihandelsabkommen kritisierte. Alle Teilnehmer der Podiumsdiskussion forderten – unter kräftigem Applaus des Publikums, in dem viele Kulturschaffende saßen – eine Ausnahmeregelung für die Kultur. Die verlange derzeit nur Frankreich. Der deutsche Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) habe die zwar auch gefordert, FDP und Union hätten das allerdings abgeschmettert, betonte Oliver Scheytt. Ohne Ausnahme für Kultur – darauf wies Olaf Zimmermann hin – werde das deutsche Urheberrecht, das auf den Künstler zentrierte sei, ausgehöhlt.
Womit das Podium beim Urheberrecht angekommen war. Das müsse verteidigt werden, Künstler müssten von ihrer Arbeit leben können, unterstrich Thierse. Gesche Joost, in Steinbrücks Team für Netzpolitik zuständig wies auf die dringend nötige Anpassung des Urheberrechts an die digitale Welt hin. Das Internet sei ein kultureller Raum, vieles entwickle sich gerade. Joost betonte zudem, dass Medienkompetenz gelehrt werden müsse. Vom Schüler bis zum Senioren müssten alle mit ins Boot geholt werden. Alle müssten den Umgang mit dem Internet beherrschen und „begreifen, dass man das Netz nicht nur konsumieren, sondern gestalten kann“.
Mehr Geld für kulturelle Bildung
Medienkompetenz zu lehren wird Geld kosten. Doch für kulturelle Bildung müsse auch Geld in die Hand genommen werden. Oliver Scheytt betonte das in seiner Grundsatzrede zur Kulturpolitik. Das Geld müsse aus den 20 Milliarden kommen, die die SPD in Bildung investieren wolle. „Wir wollen nachhaltige Strukturen aufbauen, statt Projektfeuerwerke abfeuern“, so Scheytt. Jeder Mensch sei ein Kulturbürger. Der Kulturstaat garantiere die kulturellen Teilhabe und die kulturelle Vielfalt, unterstrich er.
Auf dem Podium wurden Diskussionen angestoßen, die das Publikum gern aufgriff. Und ganz ohne Dankesworte kam Thierse auch nicht davon. „Ich wollte mich bei Ihnen bedanken. Einfach weil es Sie gibt“, so drückte der Schriftsteller Michael Kumpfmüller seine Wertschätzung für das sozialdemokratische Urgestein aus. So zieht Thierse sich aus der aktiven Politik zurück. Leise wird er bestimmt nicht werden. Das hat dieser Abschiedsabend deutlich gemacht.
Goetz Schleser
ist Redakteurin, die für den „vorwärts“ über Kultur berichtet.