Ixcanul - Zwischen Plantage und Paradies
Auch auf einer Kaffeeplantage irgendwo in Guatemala gibt es Platz für Träume und Sehnsüchte. Mögen auch nur wenige davon erfüllt sein: Maria und Pepe sind es mit Haut und Haaren. Für sie ist klar: Jenseits des Vulkans, zu dessen Füßen sie täglich schuften, liegt das Paradies, nämlich die USA. Marias Mutter vermutet dahinter lediglich „kaltes Wetter“.
Die beiden Jugendlichen sind fest entschlossen abzuhauen und das ärmliche Leben als Kaffeepflücker hinter sich zu lassen. Besser gesagt: Maria will, dass Pepe sie mit ins Land seiner diffusen Träume mitnimmt. Um nachzuhelfen, kommt sie seinem sexuellen Drängen nach, doch alles andere entwickelt sich alles anders als geplant.
Brodeln im Innern
„Ixcanul“ entführt einen in die gerade im Kino unterbelichtete Welt der Mayas in Guatemala. In der Region Kakchiquel lernen wir Plantagen-Malocher kennen, die mit ihren Familien in ihren ärmlichen Holzhütten hocken und deren Alltag weitgehend vom Rhythmus der Natur und vom Glauben an deren magische Kräfte bestimmt wird. Unvorstellbar weit weg ist jegliches städtische Leben, mag die globalisierte Ökonomie den subtropischen Landstrich auch längst erreicht haben. Der Titel bedeutet in der Maya-Sprache Cakchiquel „Vulkan“, steht aber auch für jene Kraft, die im Innern des Berges brodelt und hinaus will. Auch in Maria wachsen Leidenschaften, die nicht aufzuhalten sind.
Das Spielfilmdebüt von Regisseur Jayro Bustamante gewann im vergangenen Jahr bei der Berlinale den Silbernen Bären für neue Perspektiven. Davon bietet „Ixcanul“ reichlich. Bustamante, der aus Guatemala stammt, bringt uns eine weithin unbekannte Lebenswelt näher, ohne sie zu romantisieren oder als ungerecht und rückständig anzuprangern. Das beginnt schon beim gesprochenen Wort. Spanisch erklingt in diesem indigenen Milieu so gut wie nie, sondern eine Sprache, die genauso althergebracht ist wie so manche tradierte Sichtweise und so manches Ritual. Die Traditionen erscheinen hier allerdings nicht als ausgelutschte Hülle, sondern als identitätsstiftende Kraft.
Erwartungen täuschen
„Ixcanul“ ist aber weniger ein Film über jene Welt der Mayas, vielmehr entwickelte Bustamante seinen Film in inhaltlicher wie ästhetischer Sicht aus ihren realen Lebensbedingungen heraus. Dabei spielt er geschickt mit den Erwartungen der Zuschauer. Immer wieder agieren die Figuren anders als gedacht oder das Drehbuch lässt eine Leerstelle. Zunächst scheint alles auf ein Drama aus verletztem Stolz und übermächtigen sozialen Zwängen hinauszulaufen, wie man es aus anderen Kontexten kennt. Marias Eltern hatten deren Affäre mit dem versoffenen und eigensinnigen Pepe natürlich nicht auf der Rechnung. Stattdessen hatten sie sie einem ehrgeizigen Vorarbeiter versprochen. Von der Hochzeit erhofften sie sich ein bisschen Sicherheit in ihrem kargen Kaffeepflücker-Dasein.
Dank Marias Unbotmäßigkeit ist dieses Projekt nun in Gefahr. Die wiederum wird in dieser Grenzsituation in mehrfacher Weise dazu gebracht, sich mit den Bräuchen ihrer Vorfahren zu beschäftigen: und damit auch mit deren irrationalen Seiten. Maria will ihr Schicksal in die Hand nehmen, wird jedoch durch ihre Umgebung daran gehindert. Anderseits warten Mitgefühl und Fürsorge auch in solchen Momenten, in denen voreingenommene Zuschauer Gewalt, Engstirnigkeit und Rücksichtslosigkeit vermuten würden.
Nicht zuletzt der erzählerisch starke wie ungeschönte Blick auf die Dinge zeichnet dieses auch visuell äußerst intensive Drama aus. Mit soziologischer Präzision führt uns Bustamante mitten hinein in eine fremde Welt. Monatelang hatte der 1977 geborene Filmemacher mit den Bewohnern jener Region Workshops durchgeführt, in denen er sich aus ihrem Leben erzählen ließ und ihren Alltag studierte. Am Ende besetzte er ausschließlich Laienschauspieler. Gerade die beiden Hauptdarstellerinnen – Maria Maria Mercedes Coroy als Maria und Maria Telon als deren Mutter – überzeugen mit einem ebenso schnörkellosen wie körperlichem Spiel.
Magische Landschaft
Auch die Bildsprache ist von einer eigenen Wirkungsmacht: In zahlreichen Totalen wird die Monumentalität und Magie einer Landschaft zwischen Vulkanasche und üppigem Grün in Szene gesetzt, ohne sie zu sehr zu ästhetisieren, sodass sich zeigt: Der Schatten des noch immer feuerspeienden Berges hat viele Farben. Wirtschaftliche und politische Zusammenhänge werden nur vage angedeutet und sind dennoch stets präsent. So gesehen ist „Ixcanul“ in all seiner Magie eine äußerst runde und letztendlich bodenständig erzählte Sache.
Ixcanul – Träume am Fuß des Vulkans (Frankreich/Guatemala 2015), ein Film von Jayro Bustamante, mit Maria Mercedes Coroy, Maria Telon, Marvin Coroy, Originalsprachen (Maya-Cakchiquel/Spanisch), 91 Minuten
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