Kultur

Ist digital wirklich besser?

von Axel Schön · 6. April 2011
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Die Autoren des Romans "Digital ist besser" schildern im ersten Teil ihre Kindheit in einer linksliberalen Familie des Berliner Bürgertums in den sechziger Jahren. Die Auswahl der Medien war dürftig, Bücher dominierten. Eine Stereoanlage von Braun "Modell Schneewittchensarg" sowie ein Schwarz-Weiß Fernseher bildeten ein analoges "Medienzentrum".

Das TV-Gerät war ohne Fernbedienung und es standen lediglich drei Programme zur Auswahl. Wildes Zappen zwischen den Kanälen war bei den Eltern verpönt. Geguckt wurde, was vorher in der Fernsehzeitung markiert worden war, vom Anfang bis zum Ende.

Der heiß ersehnte Kassettenrekorder

Auch die Plattensammlung war aus der Sicht der Heranwachsenden unbefriedigend. Klassik-Scheiben dominierten das Repertoire. Vinyl-Platten der Beatles und Stones wie Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band und Aftermath waren für die Mutter der "Ausdruck von Weltläufigkeit", aber nicht von Interesse für Karl und Tim Renner. Die Jungen waren auf der Suche nach ihrem eigenen Musikstil und einem neuen, kreativen und unabhängigen Umgang mit den Medien.

Die Ehe der Eltern scheiterte und die Mutter ersetzte den linksliberalen und trinkfreudigen Ehemann und Filmregisseur durch einen 20 Jahre älteren, stock-konservativen Bibelverleger. "Damit war der Traum vom bildungsbürgerlichen Glück im Berlin der 60er gescheitert". Für die Kinder brachte die Scheidung viele Änderungen mit sich: Man zog zunächst in eine Villa mit großem Garten im noblen Berliner Stadtteil Grunewald. Als eine Art Bestechungsgeschenk erhielten die Brüder den heiß ersehnten Kassettenrekorder. "Damit begann unsere mediale Emanzipation von der Welt unser Eltern."

Von Mixtapes zu Napster

Die Jugendlichen entdeckten die Faszination des Pop für sich und stellten auf ihren musikalischen Ausflügen zufrieden fest, dass man für dieses Klangerlebnis nicht unbedingt selbst ein Instrument spielen können musste. Es wurden dennoch eigene Bands gegründet. Außerdem wurde Platten und Lieder aus dem Radio auf Kassetten kopiert und die eigenen Mixtapes unter Freunden getauscht. Musik wurde nicht mehr von Lied eins bis zwölf konsumiert, sondern nach Belieben zusammengestellt.

Diese Entwicklung musste aus der Sicht der Autoren die Entstehung von Tauschbörsen wie Napster zur Folge haben, wo jeder nur noch die Songs, Videos und eBooks herunterlädt, die ihm gefallen. Ihre Prognose lautet, dass ganze Alben oder Datenträger wie CD, DVD und Blu-ray an Bedeutung verlieren werden. Stattdessen landen in Zukunft nur noch einzelne Dateien auf der Festplatte des Nutzers.

Keine neuen Erkenntnisse

Neu sind die Erkenntnisse der Autoren nicht, sie fassen lediglich den Stand der aktuellen Entwicklung zusammen. Die Renner-Brüder sind selbst seit vielen Jahren im Medienbereich aktiv. Kai-Hinrich ist Journalist beim Hamburger Abendblatt des Axel-Springer-Verlags. Er schildert im Buch die Auflösung der klassischen Printmedien: Verlage, die oft noch eine Zeitung als "Gesamtkunstwerk" ansehen, begingen in den Neunzigern den Fehler ihre Artikel kostenlos online zu stellen und haben bis heute kein funktionierendes Ertragsmodell gefunden.

Tim war Musikfirmen-Manager bei Universal Music und ist jetzt Unternehmer. Er beschreibt den desaströsen Zustand der Musikbranche: Diese habe ihren letzten Boom mit der Einführung der CD erlebt, als sie Kunden zu überhöhten Preisen Musik kaufen konnten, die sie bereits auf Schallplatten besaßen.

Auch das Aufkommen der Tauschbörsen sei nur möglich gewesen, weil die Musik-Konzerne sich nicht von ihrem klassischem Alben-Modell lösen wollten, bei dem Kunden immer eine komplette CD kaufen mussten, obwohl sie nur an zwei bis drei Liedern interessiert waren. Erst mit Apples Abspielsoftware iTunes wandelte sich die Lage. Die Musik-Konzerne konnten aber nie mehr die Umsätze aus der Boomzeit der 80er erreichen.

Ohne selbst eine Patentlösung liefern zu wollen oder zu können, machen die Renner-Geschwister sich in ihrem Buch Gedanken über neue und gerechtere Bezahlmodelle für Medienkonsum. Das Buch ist flüssig und unterhaltsam geschrieben. Allerdings wirkt die Schilderung der Jugend sehr detailliert. Spannende Themen wie Soziale Netzwerke und Datenschutz werden dagegen nicht mit der notwendigen Tiefe behandelt.

Kai-Hinrich und Tim Renner: "Digital ist besser", Campus Verlag, Frankfurt am Main, 2011, 246 Seiten, 22 Euro, ISBN 9783593392080

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Axel Schön

Ich bin ein Historiker mit Magister und habe ein Volontariat bei CHIP absolviert. Ich entwerfe PR-Strategien für Start-UPs und arbeite als freier Redakteur. Außerdem bin ich ein aktives SPD-Mitglied und wohne in Berlin.

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