Lange funktionierten Familien wie "Überlebensfabriken". In der "gefahrlosen Welt" nach 1945, die scheinbar dauerndes Wachstum kennzeichnete, ersetzte der Sozialstaat familiäre Bindungen.
Nunmehr altern die Deutschen. Manche 70-Jährige haben heute noch Eltern. Es werden immer weniger Kinder geboren. Kinderlosigkeit aber fördere Egoismus und vergreise die Gesellschaft.
Schirrmacher weiß dieses Phänomen simpel zu deuten. Häufig sei die Familie als "Unterdrückungsapparat" diskreditiert worden. Zu verallgemeinern ist diese These kaum. Schon das Industriesystem
wandelte die traditionelle Familie. Außerdem kannten ältere Epochen genauso eklatante Geburtenrückgänge, verursacht durch Krieg, Seuchen und ökonomische Debakel. Irgendwann stieg die Babyrate
wieder. Zudem existiert Solidarität nicht nur zwischen Verwandten.
Kinder geburtenschwacher Jahrgänge, so der Autor, gebären, da sie einzelgängerisch leben, ihrerseits immer weniger Kinder, womit eine "irreversible" Abwärtsspirale entstehe.
Aber kann jemand, der allein aufwuchs, Kinder nicht als Bereicherung empfinden? Schirrmacher erwägt noch andere Aspekte. Treten die "lebensmüden" Europäer in den Geburtenstreik, "um weiteres
Unglück für die Welt zu vermeiden"? Grassiert in reichen Industriestaaten das Buddenbrook-Syndrom? In manchen Fällen mag das zutreffen, doch die große Mehrheit bejaht Kinder.
Intensiv analysiert Schirrmacher die fatale "Ökonomisierung" unseres Denkens. Zahlreiche materielle Vorteile der Kinderlosigkeit "sind mittlerweile für Männer und Frauen zu groß geworden".
Seit dem späten 19. Jahrhundert zeichne sich eine "Verwirtschaftlichung des Kinderwunsches" ab. Kinder verursachten "finanzielle Belastungen", schränkten "Freiräume" ein und mündeten in "berufliche
Nachteile". Leere Wiegen "maximieren" die Gewinnrate; volle Kinderzimmer "minimieren" wirtschaftliche Chancen.
Dass die meisten Arbeitgeber kinderlose Angestellte bevorzugen, verschweigt der Autor. Auch Massenarbeitslosigkeit drückt die Geburtenrate; schon vor Jahrtausenden stagnierte in
wirtschaftlich harten Zeiten die Bevölkerungszahl. Es genügt nicht, bloßen Wertewandel zu fordern, politische Gesichtspunkte aber zu ignorieren. Schirrmacher will die Familie restaurieren. Frauen,
weil sie genetisch auf "Fürsorge" programmiert seien, hätten gleichzeitig Kinder zu versorgen und Erwerbsarbeit zu leisten.
Jedoch ist die vorindustrielle Familie nicht wiederherzustellen. Heute müssen sich alle um Kinder kümmern, nicht nur die Elternpaare. Schirrmachers Familienbild und das Rollenverständnis der
Geschlechter wirken anachronistisch und ideenlos.
Rolf Helfert
Frank Schirrmacher, Minimum: Vom Vergehen und Neuentstehen unserer Gemeinschaft, Karl Blessing Verlag, München 2006, 185 Seiten, 16 Euro, ISBN- 13: 978-3-89667-291-9.
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