Kultur

Ingvelde Geleng: Die große Dame der Kritik

Wir, ihre Freunde, Kollegen und Kunstschaffende dürfen uns durch den Arzt trösten lassen: Sie kann nicht viel gelitten haben. Zwar raunten einige Blätter des Zeitungswaldes von Verbrennung, Polizeireport.
von Steffen Adam · 23. Januar 2007
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Wir, ihre Freunde, Kollegen und Kunstschaffende dürfen uns durch den Arzt trösten lassen: Sie kann nicht viel gelitten haben. Zwar raunten einige Blätter des Zeitungswaldes von Verbrennung, Polizeireport. Wir dürfen es jedoch mit Invelde Geleng anders, nämlich theatralisch sehen: Brand, Sturm, Rettung durch einen Sanitäter der Johanniter - das liebte sie ja besonders, wenn Sie sich von einem feschen jungen Herren in den Opern- und Konzerthäusern aus ihrem berühmten Cape heraus- oder hereinhelfen ließ - Blaulicht, Rauch und Regenschleier, eine dramatische Luftreise per Helikopter durch den Orkan Kyrill zum vorbildlichen Unfallkrankenhaus Marzahn. Dort ist Ingvelde Geleng eingeschlafen, im Kreise ihrer Tochter, der Schauspielerin Christiane Mueller, ihrer Enkel, eine Familie fabelhafter Frauen in allen Generationen. Der Lebenskreis hat sich geschlossen.

Es ist vollbracht, wie die letzten Takte der von Ingvelde Geleng so oft besprochenen Götterdämmerung. Die Wogen des Rheins haben sich löschend über das brennende Walhall gelegt. Sie haben die Wunden gelindert, haben unsere geliebte Kritikerin gleichsam heimgeholt oder sie zu neuen Ufern aufbrechen lassen. Denn Ruhe war nie die Sache von Ingvelde Geleng. Selbst dem Altersheim sprang sie noch einmal von der Schippe. Im Kopf war Ingvelde Geleng bis zum letzten Vorhang jung. Wir sehen es geradezu vor uns, wie Ingvelde Geleng jetzt ihr Cape mit der Grandezza einer spanischen Donna, mit der Energie eines römischen Feldherren wieder umlegt und wie sie voraussichtlich nun die Göttliche Komödie kritisch begeleiten wird.

Denn das Spiel auf der Szene, das Schauspiel, die Oper war untrennbar in Liebe mit Ingvelde Geleng verbunden. Aus Schweden soll sie stammen, geboren 1917. Ihre ersten Arbeiten veröffentlichte sie unter dem Pseudonym "Ingrid Karwehl", ihrem Mädchennamen. Für die Bühne begann ihre Tätigkeit am 15. August 1945 als Dramaturgin unter Karlheinz Martin am Hebbeltheater in Berlin. Hier konnte Ingvelde Geleng ihre theoretischen Kenntnisse ihrer Studien in der praktischen Wirklichkeit erproben.

Sowohl der damalige Aufbruch, als auch die hohe fachliche Qualität aller Beteiligten an der Produktion von Theater, das gegenseitige Lernen und Lehren bildeten den Grundstock von dem aus Ingvelde Geleng über 50 Jahre das Berliner Bühnengeschehen mit beeinflusst und geprägt hat. Stationen auf diesem Wege waren der Verband deutscher Kritiker, die Gesellschaft für Theatergeschichte und wesentlich die deutsche Sektion des Internationalen Theater Instituts, deren Geschäftsführerin sie war. Ingvelde Geleng gehörte zu den maßgeblich Verantwortlichen der ersten Berliner Festwochen, die sie danach für die Deutsche Presseagentur kritisch begleitete.

Dieses Begleiten ist der Trieb des Kritikers, so, wie es einigen wenigen Menschen vergönnt ist Theater zu machen und sicher einer großen Schar, die das Bühnengeschehen genießen. Die Eingeweihten richten ihren Blick über den Zuschauerraum hinaus hinter die Kulissen auf den künstlerischen und technischen Prozess, die vielen Genannten aber auch die Ungenannten, die einem Haus zum Leben verhelfen. Der Mensch als Mittelpunkt einer künstlerischen Arbeit stand für Ingevelde Geleng immer im Zentrum ihrer Arbeit. Sei es die selbst für den Laien lesenswerte Biographie über Lorin Maarzel von 1971, seien es Ihre Berichte aus Bayreuth, die in den Darstellungen "Wagner Regie" und "Wagners Werk & Wirkung" von 1986 ihren Höhepunkt finden.

In Berlin war Ingevelde Geleng in der Hauptsache mit der Deutschen Oper Berlin verbunden, zunächst über den Ausstattungsleiter und Ehrenmitglied Prof. Wilhelm Reinking und dann über den schon legendären Götz Friedrich. Da war Ingevelde Geleng ständiger Gast der Generalproben und Premieren, ließ sich selbst vom technischen Personal noch das kleinste Detail jeder Produktion aufs Genauste erklären. Mit scharfem aber gütigem Verstand schied Ingvelde Geleng was Kunst war und was Mist. Dieses ungeheure Wissen um die Bühnenkunst prägten ihre beiden Publikationen "Die Deutsche Oper Berlin" von 1984 und "25 Jahre Deutsche Oper" von 1986. Ihre Artikel zählen Legionen: Für dpa, wenn Sie nach der Premierenfeier bis fünf Uhr morgens ihre Kritik in den Ticker tippte, für die Bühnentechnische Rundschau, später für die Berliner Morgenpost, die Welt und die Welt am Sonntag. Ingvelde Geleng war die große Dame der Kritik immer vorbereitet, immer nachbereitet und immer am Menschen.

Diese menschliche Seite war wiederum ihre große Stärke. Sie liebte alles Menschliche und entzündete diese Menschlichkeit in ihrer ganzen Umgebung. Zu ihren engsten Freundinnen gehörte Anneliese Reinking, der vormaligen Kostümbildnerin vom Gärtnerplatztheater in München, die hier an der Seite ihres Ehemannes das Beste an bajuwarischer Kultur an die Spree gebracht hatte.

Zum Charakter von Ingvelde Geleng steht mir ein ganzpersönliches Erlebnis klar vor Augen. Ich hatte sie in den berühmten Film "Harold und Maude", 1971 von Hal Ashby, eingeladen, der mittlerweile leider nur noch vor leeren Reihen in vollkommen unwichtigen Vormittagsmatineen zu sehen ist. Trotzdem fiel der Betreiber im Kino Central fast vom Stuhl, weil es ja ungewöhnlich ist, wenn sich die scheinbaren Hauptdarsteller ihren eigenen Film ansehen: Ingvelde Geleng deckte sich vollkommen und in ihrem ganzen Wesen mit der wunderbaren Ruth Gordon. Mit den offenen Armen der Maude umarmte Ingvelde Geleng ihre ganze Welt.

Die Trauerfeierlichkeit für Frau Dr. Ingvelde Geleng wird voraussichtlich Anfang Februar 2007 auf dem Städtischen Friedhof Onkel-Tom-Strasse in Berlin - Zehlendorf stattfinden.

Der Autor Steffen Adam ist Architekt und Stadtführer

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Steffen Adam

ist Architekt und Stadtführer

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