Kultur

Im Schlachthaus

von Birgit Güll · 25. September 2010
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Der Italiener" - ein Film

Im Schloss Wolfsegg laufen die Vorbereitungen zum Begräbnis des Hausherrn. Er soll im Glashaus aufgebahrt werden, das war sein ausdrücklicher Wunsch. Doch das muss erst aufgeräumt werden, denn bis zu dem Moment, als der Schlossherr mit einem Kopfschuss aufgefunden wird, liefen an diesem Ort die Proben für die alljährliche Theaterinszenierung. Die beiden Töchter des Toten kümmern sich um den Leichnam, während Dienstboten hektisch all jene Trauergäste versorgen, die im Schloss einquartiert sind.

Unter ihnen ist ein italienischer Verwandter. Mit ihm spaziert der Sohn des Hauses über das Anwesen. Während sein Vater begraben wird, führt er den Italiener zu einer Lichtung, auf der er als Kind gespielt hat. "Auf einem Massengrab", wie er erklärt. Zwei Dutzend Polen, die im Zweiten Weltkrieg Zuflucht im Gartenhaus gesucht haben, wurden dort erschossen und eilig verscharrt. Der Vater konnte es nicht verhindern. Er sei dem "Geschrei der im Glashaus an die Wand gestellten nicht mehr entkommen", nannte es nur noch das "Schlachthaus". Jetzt liegt er tot darin, hat sich umgebracht. "Ein Schuss in den Kopf ist eine Möglichkeit", sagt der Italiener.

Unaufgearbeitete NS-Vergangenheit

Bernhard arbeitet sich an der unaufgearbeiteten nationalsozialistischen Vergangenheit Österreichs ab. Sein Werk bricht lautstark das Schweigen seiner Landsleute - zu deren Entsetzen. Die österreichische Nachkriegsgesellschaft will von Schlössern, auf denen Tote verscharrt sind, so wenig hören wie von ihrer Beteiligung am nationalsozialistischen Massenmord. So gilt der sprachgewaltige Bernhard als Provokateur, als "Nestbeschmutzer".

Der Schriftsteller kennt diese Rolle, nimmt sie an. Schon in Radax' Filmporträt "Drei Tage", Bernhard steht erst am Beginn seiner Karriere, macht er deutlich, dass er kein Wohlfühldichter ist. "In der Finsternis wird alles deutlich", sagt Bernhard über die von der Kritik häufig angemerkte Dunkelheit seiner Literatur: "Das Wort leuchtet auf."

Die Bilder von Bernhard und Radax

Plastisch beschreibt Bernhard in "Drei Tage" seinen Schulweg, der ihn an einem Schlachthof und an einem Friedhof samt Aufbahrungshalle vorbeiführte. Eingeweide von Tieren und "lauter Tote" habe er gesehen. Ob das tatsächlich Jugenderinnerungen sind, oder ob er damit eine gefühlte Grundstimmung verdichtet: Bilder wie diese finden Eingang in sein Werk. Sie sind auch Teil von "Der Italiener". Ministranten beobachten in dem Film das Schlachten einer Kuh, sehen wie das Tier zu Boden fällt und wie anschließend die Innereien freigelegt werden. - Das Schlachthaus, ein eindringliches Bernhard-Bild, von Ferry Radax filmisch umgesetzt.

So, wie der Regisseur Bernhards dreitägigen Monolog auf einer Parkbank in Hamburg-Ohlsdorf zu dem beeindruckenden Filmporträt "Drei Tage" umsetzt. Er gibt dem Schriftsteller Raum - zum Reden und zum Schweigen. Und Radax macht die Produktion, die technische Seite des Films, sichtbar: Kameras, Kabel, Mitarbeiter. "Man redet mit Menschen, man ist allein", sagt Bernhard und nennt das Alleinsein einen Idealzustand. "Mein Haus ist wie ein riesiger Kerker. Es ist kahl und kalt, das wirkt sich auf meine Arbeit sehr gut aus." Sätze, die eindringliche Bilder verlangen - der Avantgarderegisseur Radax findet sie.

Suhrkamp Juwel

Der danach entstandene "Italiener" wird mit dem 1972 Adolf-Grimme-Preis ausgezeichnet. Dabei wäre das Projekt fast gescheitert: Martin Wiebel, Dramaturg beim Westdeutschen Rundfunk und verantwortlich für die Verfilmung, berichtet im Begleitheft der DVD von Bernhards Telegramm - "Lassen Sie die Dreharbeiten sofort stoppen. ... Regisseur total unfähig. Hat nichts begriffen." Das ist der aufbrausende Bernhard, der sich auch in dem 2009 bei Suhrkamp erschienen Briefwechsel mit seinem Verleger Siegfried Unseld zeigt. Am Ende allerdings ist der Schriftsteller "sehr glücklich", wie Wiebel sich erinnert.

Der Suhrkamp Verlag hat den "Italiener" in seine DVD-Reihe aufgenommen, in den "Extras" noch "Drei Tage" veröffentlicht. In der schönen Filmedition sind bereits Krista Fleischmanns Fernsehporträts von Thomas Bernhard veröffentlicht ("Monologe auf Mallorca" & "Die Ursache bin ich selbst", 2008). Die "Italiener"-DVD ist ein kleines Juwel, ein Stück von dem, was der 1989 verstorbene Ausnahmeschriftsteller Thomas Bernhard hinterlassen hat.

Ferry Radax/Thomas Bernhard: "Der Italiener. Nach einer Erzählung von Thomas Bernhard", DVD, fes, Suhrkamp Verlag, Berlin, 2010, 127 Minuten, 19,90 Euro, ISBN 978-3-518-13518-1

Autor*in
Birgit Güll

ist Redakteurin, die für den „vorwärts“ über Kultur berichtet.

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