Kultur

Ilija Trojanow: „Der überflüssige Mensch“

von Angelo Algieri · 14. August 2013

Ilija Trojanow ist nicht nur ein bekannter Romancier, er tritt auch mit Essays als Mahner in Erscheinung. Nun ist seine neueste Streitschrift „Der überflüssige Mensch“ erschienen. Darin macht er sich Gedanken über die Entwürdigung des Menschen im Spätkapitalismus, in dem wenige Reichen herrschen. Sein Gegengift: Visionen.

Zunächst macht Trojanow den Lesern bewusst, dass es ethisch problematisch sei, wenn global agierende Eliten Teile der Weltbevölkerung als überflüssig ansehen. Ihr Credo: Wer nicht produziert oder konsumiert, hat keine Existenzberechtigung. So veröffentlichte ein russisches Magazin eine perfide Tabelle, die aufzeigte auf welche Bevölkerung man verzichten könne. Ergebnis: die meisten Chinesen und Inder. Ausgenommen: Russen und Amerikaner. Überflüssig? Immer nur die anderen!

Deutschlands Superreiche betreiben Gehirnwäsche

Der in Bulgarien geborene Trojanow schaut auch auf Deutschlands Superreiche. Er nennt sie Oligarchen, denn 10 Prozent der Wohlhabenden besäßen hierzulande 61 Prozent des Gesamtvermögens. Ein Skandal, meint Trojanow, denn „materielle Ungleichheit bedingt politische Ungleichheit“. Die Demokratie werde ausgehöhlt. Doch die breite Öffentlichkeit stelle diese Vermögenskonzentration nicht infrage. Die Vermögensverteidigungsindustrie, wie sie Trojanow nennt, laufe etwa gegen die Erhöhung des Spitzensteuersatzes wie geschmiert: Sie betreibe Geld- und Gehirnwäsche.

Neben anderen Themen, etwa der Stigmatisierung von Hartz-IV-Empfängern, verweist Trojanow auch auf die „robotronische Revolution“ – also die Automatisierung von Arbeitsprozessen durch Roboter und Computer. Die Folgen seien verheerend: Verlust von Lohnarbeit, Konzentration auf wenige Unternehmen und Destabilisierung der Sicherheitsarchitektur. Trojanow erwartet letztlich einen Krieg: Das herrschende Kapital gegen das aufständische Prekariat. Der Autor bringt einen traurigen Beleg: In Griechenland forderten Erdbeerpflücker aus Bangladesch höhere Tageslöhne, der Unternehmer ließ auf sie schießen.

Wer keine Visionen hat, soll zum TÜV gehen

Gibt es Auswege? Trojanow plädiert für Visionen. Er verkehrt ein Helmut-Schmidt-Zitat „Wer Visionen hat soll zum Arzt gehen“ und erklärt: „Wer keine Visionen hat, sollte zum TÜV gehen.“ Der Autor hält Visionen und konkretes Handeln für gut vereinbar. Zudem solle man Gemeingut vehement verteidigen, etwa das Wasser und das Internet. Trojanow gibt zu bedenken, dass die Revolution von morgen heute im Kleinen anfange – etwa durch Netzwerkbildung.

Der in Wien lebende Autor besticht in durch hervorragende Analyse und zeigt bekannte Sachverhalte in neuem Licht. Trotz einiger knackiger, ironischer Formulierungen, hätte der Text scharfzüngiger ausfallen können. Ebenso wäre es wünschenswert, dass er ein paar Oligarchen genannt hätte.

Fazit: Trojanow hat eine wichtige und brillante Streitschrift vorgelegt. Ein Plädoyer für mehr soziale Gerechtigkeit, Zerschlagung von konzentriertem Vermögen, (Wieder-)Herstellung der Demokratie. Kurz: Die Wiedererlangung der menschlichen Würde frei von kommerzieller Bewertung. Ein ungemein anregender Lesestoff!

Ilija Trojanow: „Der überflüssige Mensch“ Residenz Verlag, St. Pölten – Salzburg – Wien 2013, 96 Seiten, 16,90 Euro, ISBN 978-3-7017-1613-5

 

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Angelo Algieri

ist freier Journalist.

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