Ideologisch aufgeladene Barbarei
Das gedrosselte Erzähltempo des Films kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass darin eine unheilvolle Bewegung ihren Lauf nimmt. Regisseur Abderrahmane Sissako thematisiert den mittlerweile von internationalen Truppen eingedämmten Vormarsch islamistischer Milizen in Mali. Deren Brutalität gegenüber der Bevölkerung und ihre Zerstörungswut in der Welterbestadt Timbuktu sorgen seit 2013 für weltweites Entsetzen. Terror, Angst und Flucht schwingen auch in „Timbuktu“ mit. Während anfangs eine Antilopenherde vor den krachenden Salven der Islamisten Reißaus nimmt, flüchten am Ende auch die Menschen. Die Botschaft ist eindeutig – von den Islamisten, die sich in Timbuktu ausgebreitet haben, ist nichts Gutes zu erwarten.
Trügerische Idylle
Doch wie fühlt es sich an, wenn religiös angepinselte Willkür eine Region erobert und den Menschen ihre Regeln aufzwingt? Ist es möglich, sich herauszuhalten? Der Film verfolgt das Geschehen zunächst auf zwei gegensätzlichen Ebenen. Da wäre die Idylle einer Familie von Viehhirten in der Wüste. Weil die Nachbarn das Weite gesucht haben, leben sie nahezu unbehelligt in ihrem Zelt. Vater Kidane zupft selbstvergessen auf der Gitarre – für die Islamisten eine Sünde. Frau und Tochter schwelgen ebenso selbstvergessen dahin. In langen Einstellungen formt sich die okkerfarbenen Szenerie der südlichen Sahara zu einer überwältigenden, unwirklichen Schönheit.
Zur gleichen Zeit patrouillieren die islamistischen Herren im nahen Timbuktu. Mit Maschinenpistolen stiefeln sie über die Lehmdächer, um den Ursprung der verpönten Gitarrenklänge aufzuspüren, wenn auch lange Zeit vergeblich. Tagsüber kurven die aus dem Ausland eingefallenen Kämpfer auf Pick Ups und Motorrädern durch die Gassen. Die Lage ist bedrohlich, doch muss man sie deswegen nicht ausschließlich in düsteren Farben malen.
Peitschenhiebe für Musikfans
Resgisseur Sissako, 1961 in Mauretanien geboren und seit den 90er-Jahren in Frankreich heimisch, setzt auf Zwischentöne. Selbst als die Idylle für Kidane und seine Lieben ein Ende hat. Durch einen unglücklichen Zwischenfall findet sich der Familienvater plötzlich im Gefängnis der Islamisten wieder. Dort wartet er auf seine Hinrichtung im Namen der Scharia. Er fügt sich in sein Schicksal und triumphiert mit seiner Menschlichkeit über die Ankläger.
Die Durchsetzung jener Rechtskonstruktion verfolgen wir derweil auf den Straßen Timbuktus. Dabei bekommt der Zuschauer die gesamte Palette geboten – Frauen werden gezwungen, sich mit Tüchern und Handschuhen zu verhüllen. Mädchen werden zwangsverheiratet. Für Musikfans setzt es Peitschenhiebe. Ein des Ehebruchs bezichtigtes Paar wird gesteinigt. Sissako greift damit einen realen Fall aus dem Jahr 2012 auf, den internationale Medien kaum beachtet haben.
Obwohl das reale Geschehen bedrückend ist, findet die Erzählung auch Platz für Absurdes und Komik. Anstatt das Publikum mit der Wucht des Grauens zu erschlagen, verleiht der lakonische Humor dem Ganzen eine entlarvende und hoffnungsvolle Note.
Scheinheilige Fanatiker
Zum Beispiel wenn Sissako die Scheinmoral der Gotteskrieger bloßstellt. Trotz Waffen und Schuhen wollen sie eine Moschee betreten. Den Milizionären aus verschiedenen Ländern fällt es schwer, mit den Einheimischen zu kommunizieren. Viele sprechen kaum Arabisch, die Sprache der propagierten muslimischen Weltgemeinschaft, deswegen müssen sie sich immer wieder des Englisch und Französisch der verhassten Imperialisten bedienen. Obwohl Rauchen strikt untersagt ist, verzieht sich Kommandeur Abdelkarim gerne auf eine Zigarette in den Wüstensand. Gerade in dieser schillernden Figur spiegelt sich das schrecklich-komische Doppelwesen des Films. Der französische Komödiant Abdel Jafri, bekannt aus „Nelly und Monsieur Arnaud“, meistert den Balanceakt bravourös.
Diese Lakonie verhilft auch dem Grundmotiv des Films zu einer kraftvollen, aber unaufdringlichen Wirkung. Er inszeniert den Gegensatz zwischen der ideologisch aufgeladenen Barbarei der Invasoren und der reichen Kultur der Bewohner Timbuktus. Nicht nur der malische „Wüstenblues“ genießt weltweites Renomee. Die Islamisten wirken bei Sissako wie eine chaotische Truppe von Scharlatanen, die als Besatzer durch einen Teil der Welt stolpern, den sie nicht begreifen können oder wollen. Das Land, die Menschen und ihre Traditionen sind ihnen nichts als Material. Die Gewehrsalven auf Holzskulpturen zeigen das überdeutlich.
Leider bestätigt sich am Ende, was auch im echten Leben gilt – Wer sich die Macht erkämpft, muss nicht unbedingt Kultur besitzen.
Info
„Timbuktu“ (Frankreich/Mauretanien 2014), ein Film von Abderrahmane Sissako, mit Ibrahim Ahmed-dit-Pino, Toulou Kiki, Layla Walet Mohamed, Abdel Jafri u.a., Sprache: OmU, 93 Minuten
Ab sofort im Kino