Jede Nacht träumt Boaz - so erzählt er seinem Freund, dem Regisseur Ari - von 26 Hunden. Die verfolgen ihn. Sie wollen ihn töten. Seit zwei Jahren geht das schon so. Ein Albtraum, der etwas
mit dem ersten Libanonkrieg von 1982 zu tun hat. Doch Ari kann sich an fast nichts erinnern, obwohl er als 19-Jähriger dabei war. "Ich war da, aber ich hab's nicht im System", stellt er immer
wieder resignierend fest. "Die Nacht, in der Boaz anrief, war die schlimmste des ganzen Winters. Es war im Januar 2006. Trotz dreißig Jahren bester Freundschaft war ich in keinster Weise
vorbereitet auf das, was er mir erzählte", mit diesen Worten beginnt die Geschichte unter dem ersten Comic, einem Blick auf eine leere Straße. Gleich würden die Hunde kommen...
Verdrängte Erinnerung
Ari beschließt, Menschen zu befragen die damals dabei waren und sich womöglich besser erinnern. Und so reist er in das Gestern, die Jugendkultur der 80er Jahre, das Westbeirut während des
ersten Libanonkrieges. Er interviewt ehemalige Soldaten, Kriegsreporter, Psychologen und Freunde. Jeder ist traumatisiert, zeichnet sein persönliches schreckliches Bild. Stück für Stück kann Ari
die Puzzleteile zusammensetzen, bis sein eigenes Bild der verdrängten Erinnerung fertig ist. Wird er am Ende eine Antwort auf die alles überschattende Frage finden: Welche Rolle spielte er bei
dem Massaker in den palästinensischen Flüchtlingslagern von Sabra und Shatila? "Und da wurde mir das ganze Ausmaß des Massakers bewusst" steht am Ende als letzter Satz. Es folgen Bilder des
Grauens, auf zwei Doppelseiten wandeln sich Comics in reale Fotos.
Packend hat Regisseur Folman diese Reise in seine Vergangenheit visualisiert. Kein Wunder, dass, die israelisch-deutsch-französische Koproduktion bei der Weltpremiere 2008 während der
Internationalen Filmfestspielen in Cannes enthusiastisch gefeiert, als bester fremdsprachiger Film mit dem Golden Globe 2009 und als bester ausländischer Film mit dem César 2009 ausgezeichnet
sowie 2009 sogar für den Oscar nominiert wurde. Die Illustrationen von David Polonsky treffen den Zuschauer wie den Leser mit voller Wucht. Was von den bedrohlichen Bildern, in denen
Traumsequenzen mit erinnerten Kriegerlebnissen wechseln, bleibt, ist entsetzende Nachdenklichkeit. Dem Werk (Film wie Buch), dessen Titel auf den mit Israel verbündeten christlich-maronitischen
Milizenführer Bachir Gemayel anspielt, dessen Ermordung mit dem Massaker von Sabra und Shatila gerächt werden sollte, sind möglichst viele Konsumenten zu wünschen. Vor allem junge, denn viel zu
schnell wird viel zu viel vergessen.
"Du kannst die Vergangenheit vergessen, aber die Vergangenheit vergisst Dich nicht."
Dagmar Günther
Ari Folman / David Polonsky: Waltz with Bashir, Artrium Verlag, 121 Seiten 22,00 Euro, ISBN 978-3-85535-136-7
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