Kultur

Hoffen und schleusen

von ohne Autor · 28. November 2011

Ein Augenblick kann das weitere Leben eines Menschen bestimmen. Manchmal auch weit mehr, wie „Deckname Cor“, ein Doku-Drama über den jüdischen Widerstandskämpfer Max Windmüller, zeigt.

Emden 1933: Als 13-Jähriger flieht der Schlachtersohn mit seiner Familie vor dem zunehmenden Nazi-Terror in die nahen Niederlande. Sechs Jahre später, kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, besteigt Max Windmüller ein Schiff nach Palästina. Im letzten Augenblick bläst er die Ausreise ab, um weiter bei der Ausbildung junger Juden zu Bauern-Pionieren zu helfen. Später sollen sie im britischen Mandatsgebiet die Lebensgrundlagen für jüdische Einwanderer schaffen.  

Nach dem Einmarsch der Deutschen im Mai 1940 sitzen die jüdischen Flüchtlinge auch in den Niederlanden in der Falle. Als erste Deportationszüge gen Osten rollen, schließt sich Max Windmüller der Widerstandsgruppe um Joop Westerweel an. Mit Verstecken, gefälschten Dokumenten und Fluchtunternehmen über Frankreich nach Spanien retten sie rund 400 Juden, vor allem Kinder und Jugendliche, vor dem sicheren Tod.   Allein 100 von ihnen soll Windmüller in Eigenregie in die Freiheit geschleust haben. So wurde seine Entscheidung gegen den Neuanfang im Nahen Osten eine Entscheidung für das Leben im besetzten Europa – vor allem für das Leben der Anderen. Windmüller selbst konnte sich nicht retten. Doch die Erinnerung an ihn überdauerte Krieg und Völkermord. Im israelischen Haifa wurde ihm ein Denkmal errichtet und in Emden trägt heute – immerhin! – eine Straße seinen Namen.  

Alltag unter den Nazis   

Was für ein Mensch war dieser Max Windmüller? Regisseur und Autor Eike Besuden folgt den Spuren des Widerstandskämpfers auf verschiedenen Pfaden. Er liefert nicht nur bedrückende Momentaufnahmen aus dem Alltag unter der sich etablierenden NS-Herrschaft, als die Drangsalierung durch SA-Horden zur perversen Normalität wurde und nichtjüdische Deutsche sich von ihren verfolgten Mitmenschen abwandten. Daran erinnern Spielszenen und Interviewsequenzen mit einstigen Weggefährtinnen aus Windmüllers Kindheit am Dollart – heute leben sie in Israel.   

„Deckname Cor“ ist auch ein beeindruckendes Plädoyer für das Überleben in Zeiten des Todes. Indem der Film weniger der Perspektive der Täter folgt, sondern vor allem vom Mut der Verzweiflung erzählt, mit dem jenes Widerstandsnetz um – zahlenmäßig – kleine Erfolge kämpfte, wird eines deutlich: Auch unter der Knute eines erbarmungslosen Regimes gibt es Hoffnung, selbst wenn es noch so plakativ klingt.   

Aber kommt die Erzählung dem Individuum Max Windmüller wirklich nahe? Ein plastisches Bild dieses Mannes, der alles wagte, hat man nach 96 Film-Minuten nicht. Das liegt keinesfalls an heroisierenden oder verkitschenden Elementen, die man von Blockbuster-Produktionen zu Figuren der Zeitgeschichte kennt, sondern daran, dass die teilweise in die Länge gezogenen Gesprächspassagen mit Zeitzeugen immer wieder von Windmüller wegführen und die gesamte Westerweel-Gruppe ins Visier nehmen – also eher historische Aufklärung zum großen Ganzen leisten anstatt ein sinnliches Bild von einem Menschen, bei dem viele Fäden zusammenliefen, zu zeichnen. Die keinesfalls selbstverständliche Tatsache, dass in der Westerweel-Gruppe Juden und Nichtjuden Seite an Seite agierten, hätte hingegen mehr Beachtung verdient.   

Wie klingt Todesangst?   

Den stärksten Eindruck hinterlassen die Schilderungen von Metta Lande. Die aus Wien geflohene Jüdin wurde Windmüllers Verlobte im Untergrund. In ihrer Erinnerung wird das Wechselspiel zwischen der Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft und der permanenten Todesangst greifbar, insofern sich dafür überhaupt Worte finden.   

Sicherlich hätte es dem Film gutgetan, dieser besonderen Wegbegleiterin deutlicheres Gewicht zu verleihen – wenngleich in der Gegenüberstellung beider Lebensläufe, die sich für kurze Zeit kreuzten, die extreme Dramatik des jüdischen Überlebenskampfes durchscheint. Im Sommer 1944 verhaftet die Gestapo Windmüller und viele andere Mitstreiter der Jüdischen Résistance in Paris . Während Metta Lande in ihrem Unterschlupf auf Nachricht von ihrem Verlobten wartet, befindet sich dieser auf dem Weg ins KZ Buchenwald. Wenige Wochen vor Kriegsende wird er auf einen der berüchtigten Todesmärsche nach Bayern geschickt – und stirbt durch die Kugeln eines Bewachers am Straßenrand.

Lebendige Vergangenheit  

Metta Lande wird später nach Israel gehen. Von all der Ungewissheit, Sehnsucht und Verzweiflung, die vor diesem neuen Lebensabschnitt standen, erzählt die vitale ältere Dame mit ruhiger, fast abgeklärter Stimme. Doch ein Blick in ihre Augen genügt, um zu merken, dass für sie die Vergangenheit alles andere als vergangen ist.   Wie es möglich war, dass sie und andere Überlebende heute davon berichten können, das zeigt dieser Film. Allein deswegen sei er nicht nur Geschichtsinteressierten ans Herz gelegt – gelegentlichen Längen und hölzernen Spielszenen zum Trotz.        

Info: „Deckname Cor – Das dramatische Leben des Max Windmüller“ (Deutschland 2010), Regie und Buch: Eike Besuden, 96 Minuten. Kinostart: 24. November

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