Dennoch hat Willy Brandt ein bewundernswertes Buch geschrieben: faktenreich, nüchtern, zupackend, sehr differenziert - wo kalter Zorn nur zu verständlich gewesen wäre. Und es ist ein
mitfühlendes Buch, das ohne jede sprachliche Sentimentalität die Lage der Menschen schildert, die in Ruinen und Kellerlöchern hausten, hungerten, krank und erschöpft waren und auf der Suche nach
verschollenen Angehörigen.
Willy Brandt war für mehrere norwegische Zeitungen nach Deutschland geflogen, um über den Nürnberger Prozess zu berichten. Er reiste - so weit das damals möglich war - durch das zerstörte
Land. Er plädierte dafür, die Deutschen, die für ihn sowohl Werkzeug als auch Opfer der Hitlerdiktatur waren, nicht allein zu lassen. Er glaubte an eine Zukunft unter einer stabilen demokratischen
Führung. Das hat ihm in Skandinavien viel Kritik eingetragen. Einer Übersetzung ins Deutsche hat er zu Lebzeiten leider nie zugestimmt. Brandt hatte stets ein Wiederaufflammen der widerwärtigen
Hetzkampagnen gegen ihn, den Emigranten und Widerstandskämpfer, gefürchtet. Schade, denn das Buch liest auch der Leser von heute mit Anteilnahme und Gewinn.
Willy Brandt
Verbrecher und andere Deutsche. Ein Bericht aus Deutschland 1946,
Verlag J.H.W.Dietz Nachfoger, 400 Seiten, 26 Euro,
ISBN 978-3-8012-0380-1
Renate Faerber-Husemann
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