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Alles beginnt mit dem Alter - zumindest in "Baba Jaga legt ein Ei". Autobiographisch scheint Ugresic vom Altern ihrer Mutter zu erzählen. Was sie beschreibt ist der körperliche Verfall - und der Kampf dagegen. So klammert sich die vergesslich werdende Frau an ihre Kindheitserlebnisse, "weil ihre Erinnerungen da sicher waren, sie waren längst formuliert, versiegelt, oft nacherzählt und gehörten zum Repertoire, das sie vor ihren Zuhörern immer wieder abspulen konnte". Kleine Tricks helfen ihr zurechtzukommen - Diminutive etwa verschaffen Zeit.

Die Mona Lisa
Im zweiten Teil des Buches trifft der Leser Pupa, Kukla und Beba, drei merkwürdige alte Frauen. Mehr als lose scheinen sie mit dem ersten Teil des Buches verbunden. In diesem Hauptkapitel spürt Ugresic nun dem titelgebenden Baba Jaga-Mythos nach. Allerdings liefert sie keineswegs eine erklärende Abhandlung. Vielmehr durchleuchtet sie auf den Spuren dieser slawischen Folkloregestalt unsere Gesellschaft.

Scharfzüngig analysiert Ugresic das Alter, den Körperkult und das Geschlechterverhältnis: Hätte es Zahnimplantate immer schon gegeben, würden die Frauen auf den berühmten Gemälden der Kunstgeschichte lachen, statt "höchstens ein geheimnisvolles Lächeln zu zeigen wie Mona Lisa", schreibt sie. Und Kukla lässt sie vom gefährlichsten Konkurrenten des gewöhnlichen Mannes sprechen: "Der Teufel ist der Mann mit der längsten und glaubwürdigsten Verführerkarriere. Der Teufel ist der einzige Rivale Gottes, der, wie wir wissen, auch ein Mann ist."

Zum gegenwärtigen Körperkult heißt es: "Nach dem Untergang aller Ideologien blieb der menschlichen Imagination der Körper als letzter Zufluchtsort übrig". Er sei letztlich das einzige Territorium, dass der Besitzer kontrollieren und Idealen anpassen könne. Der Kampf gegen die eigene Vergänglichkeit wird vordringlich: "Seit feststeht, dass ihn kein zweites Leben im Himmel erwartet ... hat der Mensch beschlossen, möglichst lang an der Stelle zu verweilen, an der er sich befindet", schreibt die Autorin.

Slawische Folklore
Aba Bagay, ihres Zeichens Expertin für slawische Folklore und Mythologie, nimmt im dritten Teil des Buches den Faden auf. Sie verknüpft die Erzählung zu einem Ganzen - einem reichlich vielschichtigen allerdings. Aba Bagay, ihr Name fast ein Anagramm von Baba Jaga, durchleuchtet die vorhergehenden Kapitel auf seine Bezüge zu der Folkloregestalt. Sie gibt wesentliche Informationen über die Figur der hässlichen, bösen Greisin.

Fast schwindlig wird dem Leser, bei all den Formen und Vorkommen dieser Mythengestalt. Doch er erfährt, dass die Baba Jaga in all ihren Versionen stets "das Objekt einer erschreckenden Frauenfeindlichkeit", ist. Ihre Geschichte begann damit, dass sie die "Große Göttin, die Mutter Erde" war. Inzwischen hat das Patriarchat sie zu einem Scheusal deformiert. Sie sei nun eine "traurige Karikatur ihrer selbst", schreibt Ugresic. Und holt am Ende des Buches zum Rundumschlag aus: Die Frauen mögen sich endlich befreien von Unterdrückung und Schuldzuschreibungen. Sie sollen an etwas eigenes, und vor allem an sich selbst glauben.

Mit "Baba Jaga legt ein Ei" hat Dubravka Ugresic ein scharfsichtiges, erhellendes Buch geschrieben. Ihre Auseinandersetzung mit einer Mythengestalt ist überraschend anders als ihre vorhergehenden Bücher. Und sie ist kein einfaches Lesevergnügen. Das Buch scheint bisweilen in seine Einzelteile zu zerfallen. Die Vorgänge sind häufig undurchsichtig und die Details aus der Folklorewelt fast zu viel. Wenn der Leser sich allerdings bis zum Ende durcharbeitet, werden die Erzählstränge so virtuos zusammengeführt, dass die Schriftstellerin einmal mehr überzeugt - und zum Nachdenken anregt.

Dubravka Ugresic: "Baba Jaga legt ein Ei", aus dem Kroatischen von Mirjana und Klaus Wittmann, Berlin Verlag, 2008, 365 Seiten, 22 Euro, ISBN 978-3-8270-0748-3


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Autor*in
Birgit Güll

ist Redakteurin, die für den „vorwärts“ über Kultur berichtet.

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