„Herz aus Dynamit“: Wie zwei Frauen in Guatemala um ihre Liebe kämpfen
Wenn man Claudia und Maria immer wieder mit dem Motorrad durch Guatemala-Stadt knattern sieht, dann hat das seinen Grund. Dort fühlen sie sich geschützt. Geschützt vor dem alltäglichen Sexismus und der sexuellen Gewalt der Männer. Das Motorrad ist ein Symbol der Selbstbehauptung der jungen Frauen. Im Laufe der Geschichte wird allerdings deutlich, dass sie den Problemen ihrer nicht nur vom jahrelangen Bürgerkrieg geschundenen Gesellschaft nicht einfach davonbrausen können.
Auf den ersten Blick wirken die beiden wie beste Freundinnen. Zunehmend wird allerdings eine tiefere emotionale Bindung spürbar. Offenbar haben sie dafür noch keine endgültige Form gefunden. Somit bewegt sich der Film zunächst im Vagen. „Liebst Du sie?“, wird Claudia von ihrem Großvater gefragt. Ihre Antwort: „Vielleicht irgendwann.“
Jugend ohne Zukunft
Verbunden fühlen sich die beiden auch durch die Verzweiflung an ihrem Land, das ihnen keine allzu verheißungsvolle Zukunft verspricht. Kriminalität, Korruption und eine schwächelnde Wirtschaft sind wie eine Fessel für die junge Generation, die angesichts der anhaltenden Auswanderung zudem eine Auflösung gewohnter Familienstrukturen erlebt. Zur Gewalt zwischen den Geschlechtern kommt der Umstand, dass die konservative und maßgeblich von der katholischen Kirche beeinflusste Gesellschaft der LGBT-Gemeinschaft die vollen Bürgerrechte verweigert.
Indem wir diese Frauen durch ihren Alltag, der einem permanenten Alarmzustand gleichkommt, begleiten, werden die Probleme einer entwurzelten Gesellschaft, die unbewältigten Problemen mit Resignation und Schweigen begegnet, in feinen Nuancen deutlich. „Draußen ist es echt gefährlich“, sagt Claudia. Derweil fingert Maria an der Pistole ihres inhaftierten Vaters herum. Kurz darauf erleben sie die sexualisierte Gewalt und Willkür, die im Bürgerkrieg systematisch als Waffe eingesetzt wurde, am eigenen Leib.
Nur knapp entkommen die beiden einer Vergewaltigung. Die traumatische Erfahrung sorgt dafür, dass die Beziehung zwischen den Frauen nun viel eindeutiger wird und an Dynamik gewinnt. Letztere ist auch eine Frage von Gegensätzen. Während Claudia nun endgültig entschlossen ist, Guatemala den Rücken zu kehren und sich Richtung USA aufzumachen, sinnt Maria auf Rache.
Feministischer Ansatz
„Herz aus Dynamit“ ist das Spielfilmdebüt der 1979 in Guatemala-Stadt geborenen Regisseurin und Drehbuchautorin Camila Urrutia. In ersten Kurz-Dokumentarfilmen befasste sie sich mit Frauen, die über ihre Vergewaltigungen sprechen. Zudem drehte sie fiktive Kurzfilme über queere Frauenschicksale. „Herz aus Dynamit“ baut darauf auf. Urrutias feministischer Ansatz geht in der Perspektive zweier Frauen auf, die um jeden Preis ihren eigenen Weg gehen wollen.
Diese Perspektive findet ihre Entsprechung nicht etwa in wortreichen Dialogen, sondern in einer am Realismus orientierten Erzählweise voller Schlüsselmomente. In einer Szene sehen wir, wie Claudia sich auf die Polizeiwache begibt, um den Vergewaltigungsversuch anzuzeigen – wohl wissend, wie motiviert männliche Polizisten mit derlei Anzeigen verfahren. Währenddessen bereitet Maria scheinbar stoisch ihren Rachefeldzug vor.
Dass dieser Film bis zum Schluss ein hohes Maß an Spannung und atmosphärischer Dichte bietet, liegt auch daran, dass die Gegensätze zwischen den Protagonistinnen weit über den Umgang mit sexueller Gewalt hinausreichen und nicht gleich auf der Hand liegen. Claudia lebt bei ihrem linksgerichteten Großvater. Zu gerne würde er sie für den Kampf für die Interessen der indigenen Völker Guatemalas gewinnen. Einer dieser Volksgruppen gehört Maria an. Dass ihr Vater seit Jahren im Knast sitzt, ist eine schwere Bürde für die Familie.
Spiel mit Klischees
Was diese unterschiedliche Sozialisation bedeutet, wird umso deutlicher, je mehr sich die Handlung zuspitzt. Ein weiterer Reiz liegt darin, dass Camila Urrutia geschickt mit Klischees spielt. Die, rein äußerlich betrachtet, drahtig-robuste Claudia wird von anderen als „Mannweib“ beschimpft, erweist sich tatsächlich aber als die Zaghaftere der beiden Frauen. Maria, auf den ersten Blick klassisch feminin anmutend, gibt sich draufgängerisch.
Letztendlich bleiben beide Figuren als Individuum schwer greifbar. Umso deutlicher spiegeln sich in ihnen kollektive Schicksale einer Gesellschaft wider, der man nur wünschen kann, mit sich ins Reine zu kommen und die Fesseln endlich abzulegen.
Info: Herz aus Dynamit (Guatemala 2019), ein Film von Camila Urrutia, mit Andrea Henry, María Vanessa Hernández u.a., 86 Minuten, spanische Originalfassung mit deutschen Untertiteln, FSK ab 16. Auf DVD und als Video On Demand.