Kultur

Helmut Schmidt wird 95

von Werner Loewe · 20. Dezember 2013

"In der Krise beweist sich der Charakter", sagte einst Helmut Schmidt – ehemaliger Senator der Polizeibehörde in Hamburg, Bundesminister, Bundeskanzler und vor allem Hamburger. Am Montag wird er 95 Jahre alt. Besonders durch sein Wirken während der historischen Sturmflut 1962 ist er für die Bewohner der Hansestadt auch heute noch von großer Bedeutung.

In einer Forsa-Umfrage für das Magazin „Stern“ wurde vor kurzem nach dem bedeutendsten Kanzler der Bundesrepublik gefragt. Mit 25 Prozent ging der bald 95-jährige Helmut Schmidt sogar noch vor Konrad Adenauer (CDU, 23 Prozent) als Sieger aus dieser Umfrage hervor. Das ist wenig überraschend: Seit Jahren liegt Schmidt bei ähnlichen Umfragen immer vorn. Am 23. Dezember feiert der Hamburger Sozialdemokrat seinen 95. Geburtstag.

Seit 1983 Mitherausgeber der „Zeit“ mischt er sich weiterhin analysierend, kommentierend, mahnend in die politischen Debatten ein. Von 1953 bis 1962 war er SPD-Bundestagsabgeordneter. Der glänzende Debattenredner, von seinen politischen Gegnern gefürchtet und mit dem Spitznamen „Schmidt-Schnauze“ bedacht, hat auch als politischer Schreiber, als Gesprächspartner auf vielen Bühnen und im Fernsehen, nichts von seiner Brillanz, seiner trockenen Schlagfertigkeit und Lakonie verloren.

Anfang 1962 legt er sein Bundestagsmandat nieder und wird in seiner Heimatstadt Hamburg Polizeisenator. Hier kommt am 17. Februar schon seine erste große Bewährungsprobe: Eine verheerende Sturmflut trifft die gesamte Nordseeküste, besonders dramatisch wird das Hochwasser in Hamburg: Deiche brechen, das Wasser dringt bis in die Innenstadt und schwappt auf dem Rathausmarkt, Strom- und Gasversorgung, Telefon, Öffentlicher Nahverkehr brechen zusammen, in Hamburg ertrinken in tiefergelegenen Stadtteilen mehr als 300 Menschen. Der Erste Bürgermeister Paul Nevermann weilt zur Kur in Österreich, Helmut Schmidt kommt von einer Tagung der Länderinnenminister in Berlin und übernimmt das Kommando. Der Bundeswehr-Reservehauptmann und ehemalige Wehrexperte der SPD-Bundestagsfraktion organisiert sofort einen Krisenstab und fordert die Bundeswehr und Nato-Verbündete an – formal ein Verfassungsbruch, da die Bundeswehr im Inneren zu der Zeit nicht zu zivilen Aufgaben herangezogen werden darf. Jetzt kommen Pioniereinheiten mit Hubschraubern und Sturmbooten zu Einsatz. Als es dem Ersten Bürgermeister gelingt, Hamburg zu erreichen, hat Helmut Schmidt den Katastrophenstab längst organisiert und koordiniert, und er behält das Heft in der Hand: „Paul, halt‘ mich jetzt nicht mit unwichtigen Fragen auf.“

Das ist jetzt über vierzig Jahre her, und doch ist der entschlossene, zupackende Einsatz als Leiter des Katastrophenstabs in einer der schwersten Flutkatastrophen Hamburgs in der Hansestadt unvergessen, selbst bei denen, die damals nicht dabei waren, weil sie vielleicht noch gar nicht geboren waren. Denn immer mal wieder ist und bleibt Hamburg von Sturmfluten bedroht, auch wenn die Schutzmaßnahmen seit 1962 drastisch verbessert wurden. Wenn ein Orkan wie jetzt zu Beginn des Dezembers „Xaver“ die Nordseeküsten bedroht, erinnern sich Zeitzeugen an die Katastrophe von 1962, laufen die Bilder von jenem Februar über die Bildschirme bei allen Fernsehsendern -  und rufen die Erinnerung an den entschlossenen, umsichtigen Einsatz Helmut Schmidts wieder ins Bewusstsein. Hamburg weiß, was es ihm zu danken hat. Ehrenbürger der Stadt ist er schon. Zu seinem 95. Geburtstag richtet ihm die „Zeit-Stiftung“ am 19. Januar einen Festakt im Thalia-Theater aus, anschließend gibt der Senat einen Senatsempfang im Großen Festsaal des Rathauses. Eine größere Ehrung haben die Hanseaten nicht zu vergeben.      

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Werner Loewe

ist Mitarbeiter der vorwärts-Redaktion, Geschäftsführer a. D. des vorwärts-Verlags und ehemaliger Landesgeschäftsführer der SPD Hamburg.

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