Kultur

"Hass sucht sich immer neue Bahnen"

von Ramon Schack · 21. September 2014

Millionen Deutsche wünschen sich ein Land ohne Ausländer. Im Interview mit vorwärts.de beschreiben Pitt von Bebenburg und Matthias Thieme, wie unser Land aussähe, würde dieser Wunsch Wirklichkeit werden.

vorwärts.de: Herr von Bebenburg, Herr Thieme,  wäre eine Fussballnationalmannschaft bestehend aus sogenannten Biodeutschen, also Spielern ohne Migrationshintergrund ähnlich erfolgreich wie aktuell das Team bei der EM?

Pitt von Bebenburg: Ganz sicher nicht. Özil bereitet jede Menge Tore vor,  Podolski und Klose treffen, Boateng hat sogar Superstar Cristiano Ronaldo in Schach gehalten, und Sami Khedira spielt ohnehin ein ganz großartiges Turnier. Alle diese Deutschen bereichern uns wie die Schweinsteigers und Neuers auch. Man sieht am Fußball sehr gut, wie Deutschland dadurch gewonnen hat, dass wir in den vergangenen Jahrzehnten Zuwanderung hatten. Auch die Bundesliga spiegelt das wider: Dort spielen zu mehr als 40 Prozent ausländische Spieler. Entsprechend groß wäre der Verlust, wenn wir in den nächsten Jahren auf Ausländer verzichten müssten.   

Ihr neues Buch trägt den Titel "Deutschland ohne Ausländer. Ein Szenario". Was hat Sie dazu bewogen, dieses Buch zu schreiben?

Matthias Thieme: Fast die Hälfte aller Deutschen sagt, wir hätten zu viele Ausländer im Land. Und das seit Jahren. Wir wollten so konkret wie möglich beschreiben, was wirklich passieren würde, wenn Menschen ohne deutschen Pass auswandern müssten. Wir wollten diese Vorstellung greifbar machen, ein Gefühl dafür  wecken, welche Bedeutung die Ausländer für dieses Land haben. Mit Fakten und Daten, nicht mit Vorurteilen, wie sie immer wieder bei diesem Thema blühen – nicht zuletzt in der Debatte über Thilo Sarrazins Buch.

vorwärts: Würde Deutschland ohne Ausländer ökonomisch überleben?

Von Bebenburg: Wohl kaum. „Deutschland schafft sich ab“ – diese Aussage würde gelten für ein Deutschland ohne Ausländer. Einige Bereiche in der Industrie, der Gastwirtschaft, dem Reinigungsgewerbe würden sofort zusammenbrechen, weil dort meistens Ausländer die Arbeit erledigen. Auch die Pflege von Alten und Schwerstkranken wäre nicht mehr zu leisten. Aber es gäbe noch viel heftigere Erschütterungen, wie hochrangige Experten in unserem Buch beschreiben. Deutschland lebt vom Export, und der Export lebt von guten internationalen Beziehungen. Wenn alle Ausländer das Land verlassen müssten, wäre es vorbei mit diesen guten Beziehungen. Viele Unternehmen stünden vor der Pleite. Dazu käme ein Banken- und Börsencrash mit gewaltigen Konsequenzen. Die Banken würden ihre Zentralen aus Frankfurt abziehen, denn sie sind auf gute Mitarbeiter angewiesen, egal welche Nationalität sie haben. Dadurch hätten deutsche Firmen keinen Zugang mehr zu den Krediten, die sie dringend benötigen. Das wäre der wirtschaftliche Niedergang Deutschlands. Das Leben für die Deutschen würde sich dramatisch verschlechtern. 

vorwärts: Glauben Sie irgendeinen latenten Ausländerfeind durch Ihre Argumente überzeugen zu können?

Thieme: Warum nicht? Wer bereit ist, auf Argumente zu hören, wird in unserem Buch reichlich Argumente finden. Deswegen sagen wir: Jeder Sarrazin-Leser sollte auch unser Buch gelesen haben, bevor er sich ein Urteil bildet. Wir haben einige erfreuliche Reaktionen von Lesern erhalten, die unsere Fakten nachdenklich gemacht haben. Andererseits wissen wir natürlich auch, dass viele irrationale Ressentiments gerade in dieser Debatte eine Rolle spielen. Ich fürchte, wir werden nicht jeden überzeugen können.

vorwärts: In Ihrem Buch lassen Sie zahlreiche Experten und Politiker zu Wort kommen. Warum haben Sie nicht einen Vertreter des rechtspopulistischen Spektrums befragt?

Thieme: Wie gesagt: Wir wollten Wissen transportieren und Fakten. Wir haben Statistiken ausgewertet. Wir haben Fachleute für verschiedene Gesellschaftsbereiche befragt, nicht Leute, die Vorurteile schüren.

vorwärts: In den letzten Jahren ist der Anstieg einer massiven Islamfeindlichkeit in Deutschland und Europa zu beobachten. Halten Sie dieses Phänomen für etwas Neues, oder nur für eine spezielle Spielart ordinärer Xenophobie?

Von Bebenburg:Hass sucht sich immer neue Bahnen. Die Rechtsradikalen bekämpfen das Fremde und die Fremden, egal ob das Ausländer sind, Homosexuelle, Obdachlose, Behinderte, Juden oder Muslime. Übrigens schildern wir deswegen auch in unserem Buch, wie überrascht gerade die Rechten wären, wenn unser Szenario Wirklichkeit würde. Denn dann wären immer noch zwei Millionen deutscher Muslime im Land. Wer hassen will, der findet immer eine Gruppe, die er hassen kann. Das ist bitter, aber wahr. Man kann nur immer wieder versuchen, mit Argumenten gegenzuhalten.

vorwärts: Was meinen Sie, wird Fremdenfeindlichkeit immer ein Bestandteil der Gesellschaft sein oder irgendwann von selber verschwinden?

Von Bebenburg: Das ist ein langer, langer Prozess. Jede Generation muss diese Auseinandersetzung aufs Neue führen. Das ist nicht bequem, aber notwendig.

Autor*in
Ramon Schack

ist Politologe und Journalist.

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