Kultur

Handwerk im Wandel der Zeit

von Dagmar Günther · 29. Februar 2008

"Fleisch und Stein. Der Körper und die Stadt in der westlichen Zivilisation", "Der flexible Mensch", "Respekt im Zeitalter der Ungleichheit" und "Die Kultur des neuen Kapitalismus" - so heißen die Bücher, die bisher von Richard Sennett im Berlin Verlag erschienen sind. Die Titel lassen erahnen, welches Programm der an der London School of Economics lehrende britische Soziologie- und Geschichtsdozent verfolgt. 2006 bekam er den Hegel-Preis der Stadt Stuttgart verliehen.

Die ethische Dimension von Handwerk und Wissenschaft

Wer Hannah Arendt, die bekannte Totalitarismus-Theoretikerin, seine Lehrerin nennt, der kann auch bei kulturgeschichtlichen Abhandlungen zur Rolle des Handwerks unmöglich die moralische Dimension seiner Entwicklung außer Acht lassen. Arendt hatte die Techniken des Grauens im Dritten Reich und deren Produzenten analysiert und einen Menschentypus gefunden, der am Werk um seiner selbst willen Vergnügen fände, gleich welches, selbst die Vernichtung von Menschen könne ein solches Handwerk sein. Das Produzieren (Handwerk) und das Denken sieht Sennett hier als Gegensatz benannt. Er meint in eben dieser Trennung eine große Gefahr für die menschliche Gesellschaft auszumachen.

Ein weiter Begriff

Der Autor erweitert den Begriff des Handwerks vom technischen Produzieren auf ein ganzes Kompendium von Bezügen zur Realität, die Denken und Handeln einschließen. Handwerker sind für ihn der Arzt genauso wie der Glasbläser, der Musiker, der Computerspezialist oder der Kunsthandwerker. Bei einer solchen weiten Definition des Begriffs "Handwerk", der nicht mehr nur Hand-, sondern auch Kopf- und kreative Arbeit ist, nimmt es nicht wunder, dass die Trennung von Denken und Machen als unnatürlich erscheint.



Auch bei völliger Hingabe an die Erzeugung des Produkts müsse das Nachdenken über Sinn und Zweck der eigener Arbeit nicht zu kurz kommen muss, meint Sennett. Er belegt die Realität des Gedankens mit historischen Beispielen aus der Entwicklung des Handwerks.



Weibliches und männliches Handwerk

Wie das Verständnis als reine Handarbeit oder als Kopf- und Handarbeit (kreative Arbeit), zugleich stets Auf- oder Abwertung der betreffenden Menschen gewesen sei, demonstriert der Autor am Beispiel weiblichen Handwerks (Weben, Hausarbeit). Hier wie insgesamt in den kulturhistorischen Passagen liegen die Stärken des Buches.



Wider die unnatürliche Trennung von Kopf- und Handarbeit



Sennett plädiert gegen die Trennung der Arbeit in die Bereiche Kopf- und Handarbeit: Die Trennung von Kopf und Hand schade dem Kopf, meint er. Sie führe zu mangelnder Anerkennung verschiedener Berufsgruppen und schlage sich selbst im sozialen Auseinanderdriften in modernen Konzernen nieder. Das erscheint richtig. Verantwortliches Handeln von Produzenten und Produzentinnen, Bedenken der Folgen eigenen Handwerks - das könnte für einen besseren Umgang mit der Natur und mit anderen Menschen sorgen und für vieles andere mehr.



Es bleiben Fragen

Sicher wäre es wünschenswert, an Zeiten anzuknüpfen, da das Werk der Hand ein Werk verantwortungsvollen Geistes war. Das Kreieren neuer Techniken schlösse dann den gesellschaftlichen Diskurs über Auswirkungen auf Natur und Gesellschaft mit ein. Aber hat es dennoch nicht auch Menschen verachtendes Werk gegeben, dessen Macher sich an technisch perfektem Gelingen erfreuten, das für andere den Tod bedeutete? Die Polemik gegen die Arendtsche Analyse überzeugt nicht.



Geistvolles Handwerk allein vermag uns nicht zu retten. Der Geist kann Gefährliches ersinnen. Allerdings geht es Sennett um den kreativen Geist, der ganze Welten neu zu schaffen und zu bedenken vermag. Es wäre schön, wenn der kreative Geist normaler Teil des Handwerks wie der Arbeit ganz allgemein wäre.

Dem ist aber nicht so. Kreative Arbeit bleibt ein Gegenpol zu geistlosem Funktionieren wie zu bloß auf Gewinnstreben ausgerichteter Arbeit.

Grenzen zu verwischen, wäre daher eher kontraproduktiv. Die Achtung vor einer notwendig eigenständigen künstlerischen Sphäre bliebe leicht auf der Strecke. Das Problem besteht ohnehin. Der amerikanische Autorenstreik hat gerade darauf aufmerksam gemacht.

Dorle Gelbhaar



Richard Sennett "Handwerk", aus dem Amerikanischen von Michael Bischoff, Berlin Verlag, Berlin 2008, 432 Seiten, 22,00 Euro, ISBN 978-3-8270-0033-0

Autor*in
Dagmar Günther

war bis Juni 2022 Chefin vom Dienst des vorwärts.

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