Die Idee eines freien Grundeinkommens für jeden Bundesbürger erscheint auf den ersten Blick utopisch. Doch der zweifellos existierende wirtschaftliche Wohlstand in unserer Gesellschaft sollte
uns in die glückliche Lage versetzen, jeden Bürger mit seinen Grundbedürfnissen versorgen zu können. Werner stellt damit richtigerweise fest, dass wir es in unserer heutigen Gesellschaft nicht mehr
mit einem Mangelproblem, sondern mit einem Verteilungsproblem des Wohlstands zu tun haben.
Dieser Wohlstand basiert zu einem entscheidenden Teil auf maschineller Produktivitätssteigerung und der damit einhergehenden Rationalisierung. Das heißt: Tendenziell ist für immer mehr
Wohlstand immer weniger menschliches Arbeitsvolumen notwendig. Die immer weiter steigende Arbeitslosigkeit in allen Industriestaaten ist demzufolge systemimmanent und - nach Werner - ein weiterer
glücklicher Umstand, der uns einen der frühen ersten menschlichen Träume verwirklicht, nämlich Menschen von schwerer und gefährlicher Arbeit, vielleicht sogar von aller Arbeit, zu befreien.
Grundeinkommen und die Verteilung des Wohlstandes
Wenn da nicht die Notwendigkeit des Einkommenserwerbs durch Arbeit wäre! Das freie Grundeinkommen würde auch dieses Problem lösen, indem der Mehrwert aus Maschinenarbeit auf die Bürger
verteilt würde. Abstrakt ist deshalb Werners Grundforderung, Arbeit von Einkommen zu trennen. Sie bedeutet: Arbeit muss sinnstiftend, nicht gewinnbringend sein. Die Grundbedürfnisse eines jeden
Bürgers werden durch das Grundeinkommen abgedeckt.
Ohne den kulturell-emanzipatorischen Anspruch des Grundeinkommens muss diese Forderung jedoch abstrakt bleiben. In einem zweiten Schritt fordert Werner den wahrhaft menschlichen
Produktivitätsfaktor, Kreativität, als zentrale Aufgabe menschlichen Schaffens zu definieren. Das heißt, befreit von der Notwendigkeit mit Arbeit ein Einkommen zu verdienen, würden Menschen
arbeiten, weil sie wollen, nicht weil sie müssen.
Der so erwirtschaftete Mehrwert würde auf das Grundeinkommen aufgeschlagen. Und damit würde wahrhaft sinnstiftende Arbeit erreicht. Außerdem würde bisher unbezahlte Arbeit, z. B. häusliche
oder ehrenamtliche, besser gestellt als heute. Und mit dem Grundeinkommen würde sogar ein finanzieller Anreiz geschaffen, menschliche, anstatt maschineller Arbeit einzusetzen.
Die notwendigen Kernqualitäten von Arbeitplätzen in diesem Modell wären also: sinnstiftend, interessant und attraktiv - als Anspruch an die Arbeitgeber. Sie wären aber auch ihrer sozialen
Verantwortung gegenüber dem Arbeitnehmer entbunden, da das Grundeinkommen für die Grundversorgung aufkommen würde. Nach Werner könnte so mehr Freude an Arbeit und mehr Flexibilität für die
Unternehmer erreicht werden. Hire and fire wäre kein Schreckensszenario mehr, sondern die Bekenntnis zu Freiheit der Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Werner fordert damit nichts weniger als einen
Systemwechsel im Denken unserer Wirtschafts- und den Sozialbeziehungen.
Konsumsteuer und die Illusion des Geldes
Werner führt dem Leser die Illusion des Geldes vor Augen: "Niemand kann Geld essen." Es sei nur ein Beleg für die erbrachte Arbeitsleistung eines Bürgers und für die Güter, auf die er deshalb
Anspruch hat. In Fachbegriffen wäre das der Unterschied zwischen Realeinkommen (Netto) und Nominaleinkommen (Brutto). Tatsächlich bekommt niemand sein Bruttoeinkommen je zu sehen und das
Nettoeinkommen wird auch nur sichtbar in den Gütern, die er/sie dafür erwirbt. D.h. für Werner, dass auch Millionäre, was ihre Grundbedürfnisse betrifft, nicht besser gestellt sind als einfache
Arbeiter, da ein jeder nicht mehr als satt werden kann.
Bestechend direkt würde deshalb die Konsumsteuer wirken: Die Yacht oder die Luxusvilla, die sich der Millionär vielleicht kaufen möchte, sollten mit einer höheren Mehrwertsteuer belegt sein
als das Brot und die Milch, die jeder zum Leben braucht. Alle anderen Steuern könnten somit abgeschafft werden - samt Steuerschlupflöchern. Im Rückschluss heißt das aber auch, dass auf nicht
ausgegebenes Geld, oder in Produktion re-investiertes Geld keine Steuern anfielen, was höchstwahrscheinlich zum Anstieg des Nominalreichtums von Unternehmern führen würde. Ob wir tatsächlich so
weit sind, diese Zahlen auf Konten nicht mehr als ungerechten Reichtum zu sehen, bleibt fraglich. Und vielleicht ist das Gefühl von Ungerechtigkeit auch gar nicht so unangebracht.
Chancen und Risiken
Zugegeben in einer anderen Zeit, aber vielleicht immer noch wahr, hat es Lord Byron auf den Punkt gebracht: "Geld heißt Macht, Armut heißt Sklaverei". Macht bedeutet nicht nur, Geld zu haben,
sondern andere Menschen mit diesem Geld - oder anders gesagt über den Arbeitslohn - in die Lage zu versetzen an der Gesellschaft teilzuhaben. Der, der Geld hat, kann diese Teilhabe ermöglichen oder
eben nicht - mit potentiell fatalen Folgen für den, der das Geld nicht hat. Bezogen auf das Grundeinkommen, ist festzustellen, dass die Grundbedürfnisse zwar gedeckt wären, dass Armut aber ein
relativer Begriff ist.
Insofern ist es fraglich, ob das Grundeinkommen etwas an der ungerechten Wohlstandsverteilung ändern würde. Eine reine Konsumsteuer würde dieses Ungleichgewicht in der Wohlstandsverteilung
eher verstärken und somit die wirtschaftliche Macht der "Reichen" in unserer Gesellschaft vergrößern.
Zu bedenken wäre auch die notwendige Kontrolle dieser wirtschaftlichen Macht. Der Fall Nokia z.B. macht deutlich, dass wirtschaftliche Macht politische Macht umgehen kann. Wie auch immer man
zu der von Nokia verfolgten Gewinnmaximierungslogik steht, diese wirtschaftliche Macht kommt in Konflikt mit der in allen westlich-liberalen Verfassungen als einzig legitime Macht postulierte
Souveränität des Volkes.
Werner analysiert richtig, dass menschliches Arbeitsvolumen mittels Rationalisierung durch Maschinenarbeit ersetzt wird. Damit wird aber auch immer stärker der menschliche Kontrollmechanismus
von wirtschaftlicher Macht z.B. durch Gewerkschaften verloren gehen. Die daraus entstehende Gefahr für das Machtgleichgewicht in einer Demokratie sollte nicht unterschätzt werden. Werner würde
sicher argumentieren, dass die Tendenz zu immer weniger menschlicher Arbeit völlig unabhängig von der Einführung eines Grundeinkommens ist - vielleicht sogar, dass das Grundeinkommen menschliche
Arbeit wieder attraktiver macht. Aber die Machtfrage stellt sich - wer hat wirtschaftliche Macht und wie kann diese zum gesellschaftlichen Wohl kanalisiert und kontrolliert werden.
Überzeugungsarbeit zu einer besseren Gesellschaft
Was Werner fordert ist ein Systemwechsel, ohne zu wissen, ob das neue System funktioniert oder besser ist. Unter normalen Bedingungen heißt das, dass das bestehende Wirtschaftsystem
kollabieren müsste. Und an einigen Stellen behauptet Werner, dass genau dieser Kollaps kurz bevorsteht. Werner meint der (politische) Wille sei hier entscheidend: Wer etwas will sucht Wege, wer
nicht sucht Gründe. Er könnte Recht haben insofern, als wir bei einem neuen System nie gewusst haben, ob es funktioniert. Die Frage ist: Finden sich die Kräfte, den Schritt ins Neue zu wagen? Und
sind wir bereit, das Risiko eines Systemwechsels einzugehen? Oder etwas pessimistischer: Ist der Leidensdruck schon groß genug, um uns dieses Risiko eingehen zu lassen?
Dr. Thomas Hörber
École Supérieure des Sciences Commerciales d'Angers (ESSCA)
Götz W. Werner:, Einkommen für alle, Kiepenheuer & Witsch, Köln, 2007, 222 Seiten, 16,90 Euro, ISBN 978-34-62-03775-3
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