Kultur

Grass will weiter den Mund aufmachen

von Die Redaktion · 12. September 2006
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Im Zentrum der Programmpremiere sollte eigentlich die Frage stehen, was an Literatur interessant ist und warum jemand schreibt, wie ein Verlagssprecher eingangs betont. Im Zentrum steht aber vor allem eine Person: der Literaturnobelpreisträger Günter Grass und seine Vergangenheit in der Waffen-SS. Er habe dieser militärischen Elitetruppe nur kurze Zeit und zu einem Zeitpunkt angehört, als diese schon mitten im Auflösungsprozess gesteckt habe. Günter Grass erklärt: "Ich habe die Waffen-SS nur in Rudimenten erlebt." Verleger Steidl wirft ein, ob er sich angesichts seiner eigenen Vergangenheit nicht besser politisch zurück gehalten hätte. Worauf der Nobelpreisträger energisch entgegnet: "Ich werde weiter den Mund aufmachen." Hierfür gibt er auch sogleich ein Beispiel. Wie in Abgrenzung zu seiner eigenen NS-Vergangenheit kommt er auf Kurt Georg Kiesinger zu sprechen. Der spätere Bundeskanzler sei bereits vor 1933 NSDAP-Mitglied gewesen und habe zurzeit des Dritten Reiches viele Jahre an entscheidender Stelle im Außenministerium gesessen. Er, Grass, sei 1945 gerade mal sechzehn Jahre alt gewesen. "Ich gehöre einer Generation an, die verführt wurde und sich verführen ließ."

Weitere Aspekte aus dem Leben des 78-jährigen kommen in dem Gespräch mit Gerhard Steidl kaum zur Sprache. Dass es ihm nicht leicht gefallen sei, die Biografie zu schreiben, sagt Günter Grass. Es fällt das Wort Misstrauen. "Misstrauen gegenüber der autobiografischen Verfälschung, eine in der Erinnerung zu positive Sichtweise." Seine Lebensdarstellung "Beim Häuten der Zwiebel" sei der Versuch, "sich durch das Schreiben einer entrückten Person zu nähern".

Im Vergleich zum Rummel um Günter Grass erfahren andere Autoren des Verlags, die ebenfalls zur Premiere erschienen sind, nur geringe Aufmerksamkeit. Eine zu geringe Aufmerksamkeit, denn das Verlagsprogramm ist vielseitig und interessant. Da ist Oskar Negt, der sich mit Klaus Staeck über sein Werk "Die Faust-Karriere" unterhält. Es geht um Goethes Faust und dessen Weg vom verzweifelten Intellektuellen zum gescheiterten Unternehmer, der am Ende nicht mehr wissen will, was die Welt zusammen hält. Autor Negt resümiert: "Faust und die modernen Unternehmer übernehmen für nichts Verantwortung, was sie tun oder lassen."

Da ist Thorsten Palzhoff. In seinem Buch "Tasmon" sind drei längere Erzählungen vereinigt. "Alle haben eine Verlusterfahrung zum Inhalt, die mit einem Rätsel verbunden ist", erläutert der 32-jährige, der in diesem Jahr mit dem GWK Förderpreis für Literatur ausgezeichnet wurde.

Da ist außerdem Thomas Weiss, der die Geschichte einer deutschen Familie im Roman "Folgendes" erzählt. Das Besondere des Buches: es ist in einem Fluss geschrieben. Eins folgt dem anderen. Es gibt keine Kapitel und keine Absätze.

Da ist ferner Jens Wonneberger. In "Die Pflaumenallee" schreibt er über den Eigenbrötler Bergheimer und dessen alten Schulfreund, die gemeinsam von der Vergangenheit träumen und von einer Zukunft, die für sie unerreichbar ist.

Und da ist schließlich Molly McCloskey. Ihr Erstlingswerk "Wie wir leben" ist eine vergnügliche Analyse des zeitgenössischen Irland. Im Mittelpunkt steht dabei das gestresste Ehepaar Gillian und Damien, das versucht, mit den rasanten Veränderungen auf der "Grünen Insel" fertig zu werden.

Jürgen Dierkes

(Quelle: eigene Recherche)

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