Kultur

Globalisierung und die Hoffnung auf eine bessere Welt

von Dagmar Günther · 6. Dezember 2007

Der erste Teil des Buchs trägt die Überschrift "Die radikal neuen Rahmenbedingungen einer unteilbaren Welt" und beschäftigt sich mit der Globalisierung. Spiegel legt darin überzeugend dar, dass nicht die Globalisierung das Problem ist, mit dem sich viele Staaten und deren Bürger heute konfrontiert sehen, sondern die Nicht-Globalisierung eben dieser Menschen und Natio-nalstaaten. Es gibt keine globale Zivilgesellschaft, keine wirklich demokratischen Institutionen für diese gesamte Welt. Und die Nationalstaaten sehen sich viel zu oft als Besitzstandswahrer ihre Bürger. Sprich: Die Menschheit hat es bisher nicht geschafft dieser wirtschaftlichen immer enger vernetzten Welt eine auf die Menschen ausgerichtete Verantwortlichkeit in Form von guten politischen Institutionen zu geben.

Diese Entkopplung von wirtschaftlichem Fortschritt von politischer Kontrolle und Leitungen führt zu dem heute weit verbreiteten Gefühl von Ohnmacht gegenüber der Globalisierung. Spiegels appelliert deshalb, endlich zu einer funktionierenden politischen Weltordnung zu kommen. Er schlägt z.B. vor, eine parlamentarische Versammlung für die UNO zu schaffen.

Bildung

Der zweite Teil ist eine Kritik des gesamten westlichen und speziell des deutschen Bildungs-systems. Am konkreten Fallbeispiel von kolumbianischen Entwicklungsschulen setzt Spiegel sich mit dem wenig inspirierten Arbeitsalltag in deutsche Schulen und Universitäten auseinan-der, ebenso wie mit der im Gegensatz zum humboldtschen Bildungsideal immer stärkeren Spe-zialisierung der Studiengänge. Spiegel möchte mehr Teamgeist, gesamtheitlich denkende und lernende Menschen und Bildungsinstitutionen, und weniger Hierarchie.

In diesem Teil gerät das Buch vielleicht etwas zu philosophisch, wenn Spiegel die Entwicklung und Ausschöpfung aller menschlichen Potenziale fordert, mehr Kreativität will und sich nicht mit der real existierenden Welt zufrieden geben möchte, sondern die Realität als Ausgeburt dessen sieht, was wir für möglich halten, was wir uns vorstellen können. Es bleibt offen, ob irgendein Bildungssystem diese gigantische emanzipatorische Aufgabe meistern könnte.

Minikredite und freies Bürgereinkommen

Der dritte Teil des Buchs beschäftigt sich hauptsächlich mit der finanziellen Seite einer gerech-teren Gesellschaft weltweit. Minikredite für die Ärmsten der Armen werden als positives Bei-spiel für die Entwicklungsländer genannt. Deren Philosophie stimmt mit der von Spiegel über-ein, insofern als der Mensch selbst als Sicherheit für diese Minikredite gilt und kein Besitz notwendig ist. Das Vertrauen in das Potenzial der Menschen hat sich bisher insofern ausge-zahlt, als diese Minikredite einer Vielzahl von Menschen, zum Beispiel in Bangladesh, den Weg aus der Armut ermöglicht hat. Außerdem hat diese neue Businessidee eine der profita-belsten Banken weltweit hervorgebracht, was gängige Vorteile wie mangelnde unternehmeri-sche Fähigkeiten oder schlechte Rückzahlungsmoral bei den Ärmsten widerlegt. Emanzipation der Ärmsten ist hier der Schlüsselbegriff.

Bei dem Vorschlag eines freien Bürgereinkommens am Beispiel Deutschlands scheint das Buch etwas ins Utopische abzudriften. Das Hauptargument, dass man allen Bundesbürgern ein frei-es Grundeinkommen von über 1000 Euro pro Monat zahlen könnte, wenn man die gesamte Sozialverwaltungsbürokratie abschaffen würde, greift etwas kurz. Zugegeben, die gesellschaft-lichen Vorteile liegen auf der Hand: Die Menschen wären nicht mehr dem Zwang und den Nö-ten des Broterwerbs ausgesetzt und könnten deshalb frei von materiellen Zwängen ihre menschlichsten Potenziale entwickeln.

Skepsis ist jedoch angebracht, weil kreative Freiheit im positiven Sinne wohl nicht immer und nicht von allen in diesem Sinne genutzt werden würde. Zudem würde der Staat stark an gesell-schaftlichen Steuerungsmöglichkeiten einbüßen, zum einen durch den Verlust von Beamten und Feinsteuerungsmechanismen, die das momentane Sozialsystem zweifellos enthält. Zum anderen könnte nicht einmal die Versorgung mit den grundlegendsten Gütern und Dienste ge-währleistet, geschweige denn gesteuert werden, wenn niemand mehr arbeiten müsste. Utopisch ist dieses Konzept deshalb, weil es einen besseren Menschen voraussetzt. Sollte ein derartiges Konzept dennoch umgesetzt werden, haben wir nichts weniger als eine Revolution im aller positivsten Sinne.



Global Marshall Plan


Die Millenium Goals der UNO dienen Peter Spiegel als Leitfaden für den Vorschlag eines neu-en weltweiten Marshall Plans. Dabei geht es um wichtige Ziele der Menschheit, wie die Be-kämpfung von Armut, menschenwürdige Lebensbedingungen, Bildung etc.

In Zahlen heißt das, dass die momentan etwa 0,1 Prozent des Bruttosozialprodukts an Ent-wicklungshilfe der Industrieländer drastisch aufgestockt werden müssen, mit dem Ziel 0,65Prozent zu erreichen - dies ist eine durchaus substanziellen Summe, wenn man bedenkt, dass der gesamte EU-Haushalt auch bei knapp unter 1 Prozent des Bruttosozialprodukts der Mit-gliedstaaten liegt. Mit diesem Global Marshall Plan soll ein weltweiter Ausgleich zwischen Arm und Reich, zwischen Nord und Süd, zwischen der ersten und allen anderen Welten er-reicht werden. Das Prinzip ist hierbei jedoch nicht Almosenvergabe, sondern Hilfe zur Selbst-hilfe in Form einer Anschubfinanzierung, die es den unterentwickelten Ländern erlauben soll, aufzuschließen. Der emanzipatorische Gedanke für die entsprechenden Menschen und Staaten steht klar im Mittelpunkt.

Resümee

Die in diesem Buch vorgestellten Kernideen wurden nicht vom Autor selbst erfunden. Am Beispiel der Minikredite z.B. erzählt er lediglich die Erfolgsgeschichte nach. Es mag sein, das Spiegels Argumente deshalb manchmal an Tiefe vermissen lassen. Dennoch ist sein Buch die erste Zusammenfassung, die all die genannten Ideen in der Gesamtsicht auf eine bessere Welt behandelt.

Wenn es der einzige Erfolg dieses Buches sein sollte, diese Ideen einem großen Publikum zu-gänglich zumachen, hat der Autor schon viel erreicht. Wenn er es schafft einen Denkanstoß in Richtung grundlegender weltweiter Veränderungen zu geben, hat er einen substanziellen Bei-trag zum zweifellos notwendigen gesellschaftlichen Evolutionsprozess geleistet. Schließlich ist Spiegel einer der wenigen Autoren, die mit der Globalisierung die Hoffnung auf eine bessere Welt verbinden - ein Ideal, das vielleicht wichtiger ist als alle Zahlen und Fakten.

Thomas Hörber

Ecole Supérieure des Sciences Commerciales d'Angers (ESSCA)


Peter Spiegel: Die humane Weltwirtschaft - Erfolgsfaktor Mensch, Patmos Verlag, Düsseldorf 2007, 230 Seiten, 19,90 Euro, ISBN 978-3-491-72509-6

Autor*in
Dagmar Günther

war bis Juni 2022 Chefin vom Dienst des vorwärts.

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