Kultur

Glaube am Abgrund

So rücksichtslos kann Irlands Provinz sein: Mit Situationskomik und monumentaler Wucht zeigt „Am Sonntag bist du tot“ welche skurrilen Blüten eine Gemeinschaft treiben kann, deren Werte sich im freien Fall befinden.
von ohne Autor · 24. Oktober 2014
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Ob Missbrauchskandale oder Abtreibungsverbot: Während der letzten Jahre ist die Bastion Katholische Kirche in Irland mächtig ins Schlingern geraten. Die einst allmächtige Institution steht unter Rechtfertigungsdruck. Das bekommt auch der unbescholtene Priester James Lavelle (Brendan Gleeson) auf extreme Weise zu spüren. Der Mann, dem er in seinem Beichtstuhl in einer Landgemeinde an der irischen Westküste das Bekenntnis abnimmt, will ihn umbringen. Aus Rache für den so lange verschwiegenen sexuellen Missbrauch durch Geistliche und weil es interessanter sei, einen unschuldigen Priester zu töten. Der Priester versucht daraufhin innerhalb der gesetzten Frist von sieben Tagen die Gemeindemitglieder auf den rechten Pfad zu führen, bevor er abtreten muss.

Dabei bekommt Lavelle verschiedene Facetten des Zweifels bis zur offenen Feindschaft gegenüber der Kirche zu spüren. Er wird auch mit seinen eigenen Fehlern und Versäumnissen konfrontiert, die dieser mürrische und gleichsam empfindsame Hüne mit wehendem Haar seit Jahren mit sich herumschleppt. Pater James erinnert äußerlich mehr an einen Krieger, der für das Gute streitet, als an einen Versöhner, der seinen Gemeindemitgliedern alles verzeiht. Für einen Sittenwächter im klassischen Sinn hält er sich nicht. „Mir ist zu oft von Sünden und viel zu selten von Tugenden die Rede“, donnert er. Bis zum Schluss ist der Zuschauer im Unklaren, ob Lavelle sich in das ihm offenbarte Schicksal fügt oder insgeheim hofft, den Racheengel umstimmen zu können.

Der zweifelnde Gläubige

Drei Jahre nach dem Erfolg von „The Guard – ein Ire sieht schwarz“ widmet sich Regisseur und Drehbuchautor John Michael McDonagh zusammen mit Hauptdarsteller Brendan Gleeson erneut Phänomenen wie Glaube und Erlösung, aber auch bösartigen Verstrickungen in einer vermeintlich ländlichen Idylle. McDonagh will seine Arbeit als „Schuld-und-Sühne-Komödie“ verstanden wissen, doch dieses Konzept geht trotz des schwarzen Humors und der Situationskomik nur bedingt auf. Vielmehr trägt die Erzählung Züge eines Thrillers, der sich auf das Ringen des Priesters mit sich, seiner Umgebung und dem düsteren Verhängnis fokussiert.

Ob nun Thriller oder Komödie: Die Verknüpfung von skurriler Sozialstudie und mörderischem Countdown des irischen Filmemachers überzeugt nur bedingt. Nicht zuletzt weil das menschliche Panorama aus Lüge, moralischem Verfall und seltenen Momenten von Freundschaft und Vertrauen, unter anderem verkörpert durch eine untreue Dorfschönheit, einen menschenverachtenden Arzt und einen vereinsamten Bonzen, in der Summe nicht die nötige Tiefe bietet. Die meisten Figuren bleiben im Vergleich mit dem stoischen Priester blass. Brendan Gleeson, auch bekannt aus der Krimikomödie „Brügge sehen...und sterben?“, ist eine schauspielerische Meisterleistung gelungen: Mit reduzierter Mimik und sparsamen Dialogen gibt er dem Charakter scheinbar konträre Facetten. Äußerlich schreitet der Gottesmann wie ein Titan übers Land, um den Menschen ins Gewissen zu reden. Innerlich gerät er immer wieder ins Wanken. Der Zuschauer fragt sich: Erkennt der Geistliche was diese kleine, aber keineswegs heile Welt umtreibt in seiner ganzen Tragweite? Die klischeelose Darstellung des Priester als Fragender, wenn nicht gar als Zweifler, macht diesen Film so großartig.

Audiovisuelle Sinnkrise

Musik und Kamera sorgen für die monumentale Wirkung, mit der sich nach der dramatischen Zuspitzung am Anfang ein wendungsreicher Rahmen entfaltet. Der Soundtrack von Patrick Cassidy – bekannt für seine Kompositionen für die Steven-King-Verfilmung „Salem's Lot“ und die Zusammenarbeit mit der Sängerin Lisa Gerrard – schafft mit elektronischen Arrangements und gälischen Motiven einen dichten Klangteppich. Im Zusammenspiel mit Larry Flynns Bildern von Irlands windigem Westen entsteht ein ästhetischer Rausch, der sämtliche Sinne für diese Geschichte einer kollektiven Sinnkrise öffnet und lange nachwirkt.

Info

Am Sonntag bist du tot (Originaltitel: Calvary, Irland 2013), ein Film von John Michael McDonagh, Kamera:Larry Smith, Musik: Patrick Cassidy, mit Brendan Gleeson, Chris O’Dowd, Kelly Reilly, Aidan Gillen, Dylan Moran u.a., 100 Minuten.

Ab sofort im Kino

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