Kultur

Gestrandet: Integration von Flüchtlingen auf der grünen Wiese

Von Ostafrika nach Ostfriesland: Der Dokumentarfilm „Gestrandet“ zeigt den Altag von Flüchtlingen und ihren Unterstützern zwischen Euphorie und Ernüchterung. So entsteht ein spannendes Spiel der Kontraste.
von ohne Autor · 8. April 2016
Film "Gestrandet": Ein Ex-Lehrer mit seinen neuen Schützlingen, Flüchtlingen aus Ostafrika
Film "Gestrandet": Ein Ex-Lehrer mit seinen neuen Schützlingen, Flüchtlingen aus Ostafrika

Ungläubig verfolgt man den Film von Lisei Caspers zu Beginn: Fünf Menschen aus Afrika kommen nach Norddeutschland und alles läuft wie am Schnürchen. Aman, Osman, Mohammed, Ali und Hassan ziehen in ein Häuschen am Rand der 1500-Seelen-Gemeinde Strackholt bei Aurich. Und die Integration beginnt. Während sie auf die Bewilligung ihres Asylantrags warten, gehen die Neuankömmlinge gewissenhaft ihrem Ein-Euro-Job nach. Ein pensionierter Lehrer gibt ihnen Sprachunterricht, eine idealistische Journalistin hilft bei Behördengängen und spendet mütterlichen Trost. Sogar beim alljährlichen Langstreckenlauf der Massen mischen die Männer mit. Willkommen in der heilen Welt?

Integration von Flüchtlingen auf dem platten Land

Zweifelsohne zeigt „Gestrandet“, dass und wie die Integration von Flüchtlingen auf dem platten Land – anders, als von vielen behauptet – eben doch funktionieren kann. Nämlich dann, wenn der gesellschaftliche Mainstream mitzieht und Dinge möglich macht, die ansonsten als unmöglich gegolten haben. Doch je länger die Eritreer auf den Ausgang ihres Asylverfahrens warten, desto niedergeschlagener werden sie. Eine noch so gutgemeinte Willkommenskultur droht am Ende am Behördenmarathon und an den Traumata der Migranten zu scheitern.

Nicht zuletzt wird der Filmtitel Zug um Zug entschlüsselt. Irgendwo zu stranden, bedeutet, einen Neuanfang zu wagen, von dem niemand weiß, wie er endet. Und sein neues Umfeld sowohl skeptisch, als auch  neugierig zu betrachten. Es heißt aber auch, eine lebensgefährliche Reise überstanden und womöglich seine Liebsten in größter Not zurückgelassen zu haben. Wie offen können solche Menschen dann noch für lustige Spielchen beim „Familientag“ oder für die Untiefen der deutschen Sprache sein?

Der schwierige Weg nach Europa

Aus der Spannung zwischen den Ansprüchen verschiedener Seiten in der Bundesrepublik auf der einen und den individuellen Befindlichkeiten der Gestrandeten auf der anderen Seite bezieht der Film der 33-jährigen Regisseurin seine Spannung. Um sich selbst und ihre Angehörigen zu schützen, geben sie nur wenige Informationen über sich und ihren Weg nach Europa preis. Diese genügen allerdings, um Bilder von Folter, Willkürherrschaft und einem von barbarischen Schleppern organisierten Trip durch die Wüste im Kopf entstehen zu lassen.

Der Stimmungsumschwung unter den fünf Geflüchteten schlägt sich sowohl auf ihren Alltag als auch auf den Erzählfaden nieder. Anfangs präsentieren sich einige der Männer vor der Kamera sehr offen. Man spürt das Vertrauen, das zwischen Caspers und den Porträtierten herrscht. Man hatte sich bei einer spontanen Begegnung in Caspers niedersächsischer Heimatgemeinde kennengelernt. Gemeinsam entstand die Idee, einen Film zu machen, der ursprünglich ganz anders angelegt war und in eine rund 20 Monate währende Langzeitbeobachtung mündete. Je länger das Warten andauerte, desto mehr verschlossen sie sich. Bis das Tal der Hoffnungslosigkeit durchschritten ist, vergeht einige Zeit. Auch die ehrenamtlichen Helfer haben einige Prüfungen zu bestehen.

Intim und unterhaltsam

Caspers, die zuvor unter anderem mit dem Dokumentarfilm „Fragments of Palestine“ auf sich aufmerksam gemacht hat, ist eine gleichermaßen subtile und intime wie unterhaltsame Studie darüber gelungen, wie sich Menschen, die auf den ersten Blick wenig verbindet, einander mühevoll annähern. Und damit auch darüber, wie Idealvorstellungen oder Vorurteile mit der Zeit einem unvoreingenommenen Blick auf den anderen weichen. Komische wie bedrückende Momente sorgen für ein spannendes Spiel der Kontraste.

„Gestrandet“ wurde kurz vor den großen Flüchtlingsströmem nach Deutschland im vergangenen Herbst fertiggestellt und kommt doch zur rechten Zeit. Nicht nur, aber auch, weil sich seitdem in Teilen der Öffentlichkeit der Ton gegenüber Flüchtlingen und ihren Unterstützern deutlich verschärft hat. Guter Wille allein vermag wenig, wenn die politischen oder verwaltungsrechtlichen Rahmenbedingungen nicht stimmen, das ist die ernüchternde, aber ehrliche Pointe dieses Films, der hoffnungsvoll startet und diesen Aspekt gegen Ende wieder aufgreift. Caspers verfolgt dabei ein klares Ziel. „Im Moment dreht sich die Diskussion hauptsächlich um die Erstversorgung und wie sie bewältigt werden kann“, sagte sie in einem Interview. „Wir werden aber langfristig mit den Flüchtlingen zusammenleben und müssen voneinander lernen, was wir erwarten können und sollen und wie wir es schaffen, solidarisch und respektvoll miteinander umzugehen.“

Unaufgeregt und ungefiltert

Aber auch jenseits dieses politischen Appells ist die Arbeit der 33-jährigen Filmemacherin von bleibender Wirkung. Unaufgeregt und nahezu ungefiltert erzählt sie davon, welch merkwürdige Wege Visionen und Visionäre manchmal gehen. Nicht nur, aber auch  auf dem platten Land.

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