Geschichten aus Teheran: Würde hat viele Gesichter
Manch einer vergleicht Irans prominenteste Regisseurin Rakhshan Bani-Etemad mit Ken Loach. Wie auch dem britischen Großmeister des Sozialdramas geht es der 1954 geborenen Filmemacherin in ihren Werken darum, all denen ein Gesicht zu geben, die im wahren Leben an den Rand gedrängt, schlicht und ergreifend nicht gesehen werden. In „Geschichten aus Teheran“ ist dies zum Beispiel eine ältere Fabrikarbeiterin, die seit Monaten keinen Lohn erhalten hat. Ein Pensionär, der an der Arroganz und Ignoranz der Behörden verzweifelt. Oder auch junge Frauen auf der Flucht vor prügelnden Ehemännern oder mitten im Drogensumpf.
Zensur ein Schnippchen schlagen
Dieser quasi-dokumentarischer Ansatz, der zeigt, was offiziell nicht sein darf, birgt im Mullahstaat mit seinen allmächtigen Zensoren reichlich Sprengstoff und damit erhebliche Risiken. Doch Irans Grande Dame des Kinos ist versiert darin, der Zensur immer wieder ein Schnippchen zu schlagen. Kurz nach der Jahrtausendwende war sie die erste Regisseurin, die trotz strengster Auflagen einen Dokumentarfilm über die Folgen des Iran-Irak-Kriegs („Our Times“) fertigstellte.
Die „Geschichten aus Teheran“ sind dem ersten Anschein nach weitaus unpolitischer. Und doch hat der Film, der jetzt auf DVD erscheint, eine Vorgeschichte, die tief blicken lässt: Um der Zensur zu entgehen, drehte Bani-Etemad zunächst fünf Kurzfilme und fügte sie am Ende zusammen. Eine Methode, die das Ergebnis umso interessanter macht. Denn der Film führt die Geschichten mehrerer verzweifelter Menschen, vor allem Frauen, zusammen, die eines gemeinsam haben: den Einsatz für ihre Würde.
Sei es gegenüber einem ebenso bräsigen wie dreisten Bürokraten auf dem Amt, der sich mehr für seine Geliebte als für die Nöte eines verdienten Pensionärs interessiert, der auf den Kosten für eine Krankenhausbehandlung sitzen zu bleiben droht. Oder gegenüber einem klammen Ehemann, der seiner Frau immer wieder vorwirft, ein Verhältnis mit ihrem wohlhabenden Ex zu unterhalten. Oder auch eine Sozialarbeiterin, die ihren Einsatz für drogenkranke Frauen rechtfertigen muss. Immer wieder geht es darum, dass zwei Welten aufeinanderprallen und nichts zusammenpasst. Diese Widersprüche werden auf ganz verschiedene Weise aufgelöst. Oder auch einfach so stehengelassen.
Universeller Anspruch
Dem Zuschauer wird dabei einige Ausdauer abverlangt. In langen Einstellungen werden Dialoge oder auch Monologe eingefangen, die oft unter nahezu beiläufigen Umständen beginnen, nach und nach aber den eigentlichen Konflikt, der die Situation bestimmt, offenbaren. Im Hintergrund entfaltet sich der ganze Wahnsinn der Megacity. Unaufdringlich, aber stets spürbar. Muss man noch sagen, dass dabei die weniger einladenden Seiten Teherans zu sehen sind? Die endlosen Autobahnen oder klaustrophobischen Hinterhöfe könnten aber auch ganz woanders liegen. Die Bilder spiegeln eine Erzählhaltung wider, den iranischen Alltagsproblemen einen universellen Anstrich zu geben, weshalb der englische Filmtitel „Tales“ („Märchen“) treffender ist. Zugleich sind die Besonderheiten der iranischen Gesellschaft klar erkennbar, wohl aber subtil verpackt. Was wohl auch dem Taktieren gegenüber der Zensur geschuldet war.
Ganz frei von didaktisch oder ideologisch motivierter Kritik, gibt diese zurückgenommene Haltung einem breiten emotionalen Spektrum zwischen Frustration, Melancholie, Trotz und Wut Raum, sodass sich ein ebenso breites menschliches und zwischenmenschliches Panorama entfaltet. Dass diese Filmproduktion bereits 2011 abgeschlossen war, aber erst 2014 von den Behörden zur Aufführung freigegeben wurde, steht für die kritische Substanz dieses mitunter aufwühlenden, aber insgesamt unaufgeregten Werkes. Bei den Filmfestspielen von Venedig wurde „Geschichten aus Teheran“ im gleichen Jahr mit dem Preis für das beste Drehbuch ausgezeichnet.
Info: „Geschichten aus Teheran“ („Tales“/ „Ghessehha“ Iran 2014), ein Film von Rakhshan Bani-Etemad, mit Golab Adineh, Farhad Aslani, Mohammadreza Forootan u.a., 88 Minuten, OmU. Jetzt auf DVD